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Beratungsfrage8. Oktober 2024

Zornanfälle ohne Ende – und NICHTS funktioniert

Mein Sohn ist 2,5 Jahre alt. Ich setze ihm klar und deutlich Grenzen, wenn es sein muss, und ich glaube schon, dass ich das „mit Herz und Klarheit“ tue. Wenn ich ihm also etwas verbiete und er einen Wutanfall bekommt, dann begleite ich ihn liebevoll, aber stehe zu meinem Verbot.

Trotzdem funktioniert es nicht, überhaupt nicht!

Ein Beispiel: Er schleppt ein Spielzeug in den Garten, schmeißt es hin. Ich sag ihm, er soll es aufheben, da kriegt er prompt einen Zornanfall. Ich begleite ihn dabei in aller Ruhe, wie gesagt. Nur: bei der nächsten Ansage geht das garantiert wieder von vorne los.

Etwa, wenn ich ihm dann sage, dass wir jetzt leider reingehen müssen und dass er das Spielzeug in die Garage mitnehmen soll. Macht er nicht, stattdessen der nächste Wutanfall. Dabei war ich ruhig und klar.

Inzwischen kommt es immer öfter vor, dass er dann um sich spuckt. Auch auf mich. Wenn ich dann sage „Du hörst auf zu spucken“ – macht er gerade weiter.

Was ist jetzt der nächste Schritt? Wie geht es weiter? Einfach ignorieren, das kann es ja nicht sein. Aber immer wieder das gleiche sagen doch auch nicht! Ich habe das Gefühl: Egal was ich mache, es wird immer schlimmer.

Ich sehe hier eine große Not. Und deshalb will ich gleich ganz weg von der Kurzstrecke gehen, hin zur Langstrecke. Ich will also weg gehen von der Frage: Was kann ich JETZT tun, wie *reagiere* ich richtig? Und mehr die Frage anpacken: Was kann ich tun, damit wir wieder besser miteinander leben können?

Denn natürlich fragen wir uns bei Wutanfällen immer gleich als erstes: Wie kann ich nur meinem Kind helfen, dass es besser mit diesem Gefühlschaos klar kommt? Und da haben wir dann oft die Hoffnung: Wenn ich das Kind gut begleite in seinen Zornausbrüchen, dann lernt es besser damit umzugehen – und die Zornanfälle werden dann nach und nach weniger.

Ich glaube wir überschätzen uns da. Selbst durch das „idealste Autonomiekonflikte-Management“ wird Dein Kind nicht ruckzuck die Selbstbeherrschung lernen. Das braucht Zeit, das braucht Entwicklung. Und das braucht vor allem einen entsprechenden „Übungsrahmen“, in dem das Kind allmählich lernen kann, sich immer besser zu regulieren. Ich will es mal bewusst überspitzt sagen: Wir unterhalten uns viel über die besten Strategien um Zornanfälle gut zu beenden – und vergessen dabei die Frage was wir tun können, damit sie nicht mehr oft entstehen. Also die Frage, was wir tun können, damit dieses Kind allmählich aus seiner „Zornbereitschaft“ herauswächst.

Lass uns hier also gerne einmal darüber reden, wie wir die emotionale Reifung der Kleinkinder unterstützen können. Und während ich schreibe, betrachte gerne Eure Situation durch die Augen Deines 2,5 Jahre alten Kindes:

1

Dein Kind braucht zum Aufbau guter Selbstregulation einen fast schon paradoxen Rahmen. Ich nenne ihn „freie Wildbahn mit sozialen Wegweisern“ (Judith macht zu diesem als „kooperative Autonomie“ bezeichneten Prinzip zur Zeit einige Beiträge).

Warum paradox? Weil kleine Kinder ihre Selbstregulation zunächst einmal beim „selber Tun“ aufbauen – also beim ausgiebigen, praktischen, körperlich-sinnlichen Machen und Schaffen. Da lernen sie am Besten mit ihrer Kraft, ihren Impulsen, ihrer Begrenzheit, ihrem Frust und ihren großen Gefühlen umzugehen. Und ja, dazu brauchen sie ganz ganz viel Übungsraum.

Lass Dein kleines Kind also viel tätig sein, lass es spielen, entdecken, und nimm es dabei gerne auch in Deine Welt hinein, sie ist für Dein Kind super spannend und fördert Eure Verbundenheit. Wenn Du erfahren willst, wie Du das praktisch machen kannst, besorge Dir das Buch „Die Kinderdolmetscherin“ von @kinderdolmetscher.

Von diesem Übungsraum haben die kleinen Kinder in vielen Familien viel zu wenig, so dass nicht wenige Kinder überfordert, ausgebremst – und damit leider auch oft arg frustriert sind.

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Kleinkinder werden zum Beispiel unglaublich oft vor vollendete Tatsachen gestellt: das Brot ist wunderbar geschmiert, die Banane oder Gurke ist liebevoll zerteilt, vielleicht sogar nach den Angaben des Kindes schräg, quer oder in Wellen. Nur: Dein Kleinkind will diese wunderbaren Prozesse verstehen, und zwar durch das eigene Tun. Was Dein Kleinkind jetzt selber machen kann, will es selber machen.

Kein Wunder gibt es so oft Stress, weil Du das Brot eben „falsch“ geschmiert hast. Oder die Banane „falsch“ aufgeschnitten hast. Tatsächlich entzünden sich endlose Zorn-Arien sehr oft an Tätigkeiten, die Dein Kind eigentlich selber machen wollte – und mit entsprechender Begleitung und Geduld auch könnte.

Es ist nun mal so: Kleinkinder fühlen sich als Service-NehmerInnen unglücklich. Sie wollen keine zwar niedlichen, aber bedeutungslosen ZuschauerInnen sein.

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Endlose Zornarien entstehen auch dort, wo Kinder mit Aufgaben konfrontiert werden, die sie nicht nachvollziehen können. Schau Dir mal Euer Beispiel aus der Warte Deines Sohnes an: Ihr geht raus zum Spielen, dann darf er aber sein Spielzeug nicht so verwenden wie er will (er wirft damit, dass das ein Problem sein kann, versteht er aber nicht). Kein Wunder fühlt er sich ausgebremst und ja, das macht wieder Puls & Frust – für alle. Dann soll er auf einmal aufhören zu „arbeiten“, und stattdessen sein Werkzeug aufräumen – ein Konzept das er nicht versteht. Wieder läuft er gegen die Wand. Er muss innerlich ja schäumen!

Und das tut er ja auch – er spuckt jetzt um sich, und das ist tatsächlich oft das letzte Rückzugsgefecht der Kleinkinder, um in ihrem überregulierten Leben noch irgendwie am Steuer zu sein. Er schäumt innerlich, der Schaum muss raus. Da kannst Du versuchen einen Deckel drauf zu kriegen wie du willst, es wird nichts bringen – er braucht mehr „freie Wildbahn“.

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Heißt das, er braucht jetzt immer nur „my way or the highway“? Alles machen dürfen, immer nur mein Ziel, mein Wille?

Nein. Und hier sind wir bei dem vielleicht ebenso entscheidenden Aspekt dieses „paradoxen“ Entwicklungsrahmens unserer Kleinkinder. Wir sind nämlich bei den Wegweisern.

Denn die Kleinkindphase dreht sich eben nicht nur um „Autonomie“, und ein Kind wird nicht „selbstbestimmt“, indem es sich immer nur selbst bestimmt. Vielmehr dreht sich die Kleinkindphase auch um den Aufbau einer sozialen Orientierung: Wie kriege ich meine Schaffenslust und Willensentdeckung mit einem guten Leben als Familie zusammen? Wo darf ich frei Gas geben, wo muss ich auch mal die Bremse betätigen? Wo geht es nach mir, wo ist es besser, wenn es nach Mama/Papa geht?

Das sind für Euer Zusammenleben langfristig entscheidende Lernprozesse, sie laufen beständig und sie laufen bis ins Schulalter hinein.

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Folge bei dieser Gratwanderung dem No-Nonsense-Prinzip: Gib Deinem Kind die Wildbahn frei, wo es Dir oder der Familie nicht das Leben vermasselt. Dort wo es das tut, setze Grenzen. Also: Gib Deinem Kind bei Dingen, wo es die Folgen überblicken kann, gerne Raum und Zeit – viel davon. Bei den Dingen, die nur Du abschätzen kannst oder die Dir die A-Karte geben, machst DU die Ansagen – in aller Güte.

Wo Du diese Gratwanderung immer besser hinkriegst, wird Dein Kind allmählich lernen, dass es nicht aus jedem Nein ein Ding machen muss. Auch wenn es den Sinn vielleicht noch nicht verstehen kann. Es wird nämlich lernen Dir zu vertrauen.

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Eine Frage der Balance also. Wie gesagt: Freie Wildbahn mit Wegweisern: Gib viel Freiheit bei dem, was Dein Kind überblickt, und was es praktisch-tätig wuppen kann. Bei den Dingen, die Du oder Deine Familie braucht, damit das Leben gut laufen kann, gib Orientierung. Denn das sind Sachen, die ein Kind nicht unmittelbar überblicken kann.

Ist das leicht? Nein. Es ist eine Sache des Lernens und des Übens. Und das läuft nur wirklich gut, wenn wir aufeinander eingegroovt sind, also: wenn wir uns verbunden fühlen. Nur wer sich verbunden fühlt, kann vertrauen und kann kooperieren. Aber gut, auch das üben wir ja, von Anfang an.

Und bei diesem gemeinsamen Balancieren zwischen Lieben, Lassen und Leiten (drei L´s, was für ein Zufall 😉 ) – vergiss die guten Gefühle nicht. Die brauchen die Kinder wie die Pflanzen das Licht. Kleine Kinder sind durchlässig, sie greifen den Stress um sich herum auf, und sie können nicht anders, als ihn zurückzugeben.

Ja, natürlich können wir den Stress oft nicht einfach abstellen, da hast Du Recht.

Aber wir können immer wieder das Ziel bedenken.

"Mit Herz und Klarheit – Wie Erziehung heute gelingt und was eine gute Kindheit ausmacht" ist soeben erschienen. Dieses Buch ist ein Wegweiser für eine erfüllende und gelingende bedürfnisorientierte Familienzeit.
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1 Kommentar

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  • Jale

    Mal wieder ungemein treffsicher, stimmig, hilfreich!! Unser Spruch war immer in diesem Alter, ist es wirklich Not-wendig, also im Sinne von “wendet es eine Not ab”. (Einen fleckigen Pulli vor dem Kindergarten noch wechseln zu sollen, ist nicht not-wendig. Aber der Sonnenschutz am Junimittag hingegen schon).
    5 cents nur – schon gemein, dass dieser Grat zwischen zu beliebig sein und zu reglementierend, in einem “menschheitsgeschichtlich passenden” Setting (mit vertrautem Stamm in der Natur) so breit ist – und hierzulande und heute so schnell so schmal. Und dass wirklich einiges dazugehört, sich selbst genügend Luft freizuboxen, auch die Kinder so weit freilassen zu können – zeitlicher und räumlicher Freiraum bei gleichzeitigem Geborgensein (und am besten weitgehender Sorgenfreiheit) sind der wahre Luxus…