3 Jahre alt und dann das: immer nur Gejaller
So, die Ferien sind jetzt auch hier im Süden rum – und schon ein neues Wort gelernt! Gejaller nämlich, Danke!
Denn die heutige Frage, die geht so:
Ich bin komplett am Ende mit meinem Latein und mein Mann und ich stellen so langsam alles, was wir bisher als richtigen Weg in unserer Erziehung unserer Kinder betrachtet haben in Frage.
Wir haben unserem 3-jährigen Sohn, der wild und wunderbar und willens- und gefühlsstark ist, immer erklärt, dass alle Gefühle richtig sind und gefühlt werden dürfen, auch wenn ich dadurch auch mal 2 Stunden mehr oder weniger am Stück Geschreie und Getobe begleiten musste.
Er hat eine 1 Jährige kleine Schwester. Die beiden vergöttern sich. Manchmal bekommt sie zwar auch seine Wut ab, aber das hält sich tatsächlich sehr in Grenzen. Er möchte manchmal auch wie ein Baby behandelt werden, das mache ich dann spielerisch auch, damit er sich seiner kleinen Schwester gegenüber nicht ausgeschlossen fühlt. Auch wenn ich seine Schwester lobe, weil sie irgendwas gelernt oder toll gemacht hat, macht er das gleiche nach und ich lobe ihn dann auch dafür, dass er ‚so toll schon laufen kann‘, zum Beispiel. Mein Mann arbeitet und ich bin mit den Kindern zuhause. Am Wochenende machen wir dann als Familie etwas zusammen oder mit den Kindern auch mal getrennt voneinander, dass jeder seine Exklusivzeit bekommt.
Also eigentlich ist unser Sohn ein sehr fröhlicher, glücklicher kleiner Mann.
Seit ein paar Wochen ist das Zusammenleben mit ihm aber ehrlich gesagt nur noch eine Qual. Er jallert ständig. Das klingt ganz schlimm, wenn ich das hier so schreibe. Aber ich kann es gar nicht anders ausdrücken. Egal was ist, die erste Reaktion von ihm ist rum zu knatschen. Wenn irgendwas gegen seinen Strich geht, dann schreit er rum. Und oft ist es eben nicht ein richtiges ‚Ich bin richtig wütend oder traurig‘ weinen, sondern einfach so ein aufgesetztes Gejaller. Selbst wenn ich zu etwas ‚Ja‘ sage, kommt manchmal einfach schon aus Prinzip ein ‚och menno‘ und Quengelei. Oder wenn ich ihm erkläre, dass er seiner Schwester etwas nicht aus der Hand nehmen soll, kommt manchmal ein ‚ohh ich darf nicht mitspielen‘.
Mittlerweile ertrage ich dieses ständige Gejaller tatsächlich nicht mehr und bin in den letzten zwei Tagen schrecklicherweise dazu übergegangen ihn in sein Zimmer zu schicken und ihm zu sagen, dass wenn er nur rum schreien will, er das da tun kann, weil ich es nicht mehr hören kann. Ich weiß, dass das falsch ist und ich wollte nie so reagieren, aber ich bin so wahnsinnig erschöpft vom ständigen Gequengel.
Ich weiß nicht mehr weiter. Ich frage mich, wie das nur im Kindergarten gut gehen soll, da kommt er nämlich in einem Monat hin. Wenn er da auch bei jedem bisschen direkt knatscht, dann will doch hinterher keiner mit ihm da spielen? Mal quer zu sein, dafür habe ich Verständnis, aber nicht wenn gefühlt 90% des Tages nur aus Gejaller bestehen. Ich finde es ganz schlimm, dass so zu nennen, aber ich habe keine bessere Beschreibung parat.
Ich wäre Ihnen unendlich dankbar für einen Rat.
Wie das im Kindergarten gut gehen soll? Da bin ich absolut zuversichtlich: das ist genau das, was Ihr jammernder Sohn jetzt braucht.
Wird er dort auch immer nur rumquatschen? Nein. Kinder laden ihren Frust bei denjenigen ab, die ihren „Gefühlshaushalt führen“ und die ihnen nahe stehen. Die nehmen sie sozusagen in Haftung, wenn es bei ihnen selbst nicht gut läuft. Hab wegen der anderen Kinder keine Sorge – Kinder betreiben, was ihre Impulse und Gefühle angeht, sozusagen getrennte Buchführung. Wie wir Großen ja auch – wir meckern ja auch nicht unseren Chef an, wenn wir Frust schieben. Sondern unseren Partner (übrigens nicht um dessen „Liebe zu testen“, das machen Kinder bei uns Eltern auch nicht, so wenig wie sie „Grenzen testen“, ich halte die oft erzählte Geschichte nach der unsere Kinder uns nerven um unsere Liebe zu testen tatsächlich für Humbug).😉
Aber ich bin auch aus einem zweiten Grund zuversichtlich. Denn ganz grob zusammengefasst sehe ich Deine Situation so: der bisherige Modus hat sich für euren Sohn schlichtweg totgelaufen. Da ist nicht mehr genug Umpf drin für einen 3-Jährigen. Ein bisschen Regression von wegen „ich armer Mensch hab doch ein Geschwisterchen bekommen“, das hat er gerne mitgenommen. Aber das wärmt nur eine Weile, denn der Rückwärtsgang ist nun einmal nicht dauerhaft vorgesehen in der kindlichen Entwicklung. Dein Kind scharrt doch mit den Hufen, und ist schlichtweg unzufrieden.
Und dagegen hilft nicht mehr Liebe, mehr Zuwendung, mehr Lob, dass er schon laufen kann und so weiter – da hilft nur der Vorwärtsgang. Denn wirklich, zuhause sich um Spielsachen mit seiner 1-jährigen Schwester zu kappeln ist jetzt wirklich lahm, der kleine Mann (wie Du ihn nennst), braucht eine Aufgabe. Also raus in die Welt, Neues kennenlernen, neue Herausforderungen annehmen, die alten Kleinkind-Routinen sind jetzt allmählich abgewetzt und geben nicht mehr genug her. Da muss jetzt was dazu kommen!
Denk nur, was bei einem dreijährigen Kind jetzt ansteht! Er will die soziale Welt erobern, er will lernen, den anderen Menschen allmählich in die Köpfe reinspickeln: wie die wohl tickern, was die wohl fühlen und wie sie wohl denken? Und dazu braucht er andere Spiele, andere Kinder, komplexere Aufgaben als daheim Autole spielen und noch mal eine Runde Liebe tanken.
Denn die hat er ja, so wie das für mich aussieht. Aber mit der Liebe, mit der Liebe ist es so eine Sache: wenn der Tank voll ist ist er voll. Dann will das Kind diesen schönen Vorrat dann auch nutzen, um damit in die Welt zu ziehen, „Exklusivzeit“ mit den Eltern hin oder her. Denn sonst geht es ihm wie den Prinzen im Märchen: die haben ein tolles Schloss, aber sind darin unzufrieden. Was machen sie dann im Märchen? Genau: give me a job! Sie ziehen los, raus in die Welt – zu neuen Bewährungen. Nur so entsteht dann neues Wachstum.
Und das wird klappen, da bin ich mir sicher. Denn ich freue mich regelrecht darüber, wie klar Du Dir bist: So geht es nicht weiter. Der Junge ist unzufrieden. Und vor allem: DAS NERVT.
Denn an eben dieser Klarheit fehlt es nach meiner Erfahrung manchmal. Da ist ein Kind vielleicht unzufrieden und verdirbt entsprechend hartnäckig den anderen in der Familie die Stimmung (sein gutes Recht, sich klar zu äußern 😉) – und als Reaktion kommt dann die immer gleiche Ausweichreaktion: Ja, mein Kind ist eben xyz… Also: x für „willensstark“, y für „gefühlsstark“, und z für, sagen wir mal: „autonomiebedürftig“ (manchmal kommt sogar ein „bedürfnisstark“ noch dazu, wobei ich mich frage, ob es auch „bedürfnisschwache“, „gefühlsschwache“, „autonomieunbedürftige“ usw. Kinder gibt?) Oder: es ist halt grad auch so viel los, von wegen neues Geschwisterchen, Papa so oft weg, und überhaupt: wir sind manchmal so ungeduldig….
Alles gut und auch wichtig das alles zu bedenken. Nur: um weiterzukommen hilt das Verstehen schon, Dauerentschuldigungen aber eher nicht. Da darf man sich auch eingestehen: So kommen wir nicht weiter, so funktioniert das nicht, denn: DAS NERVT. Denn ohne diese Klarheit passiert nicht selten das: Dein Kind steht Eltern gegenüber, die zwar am Rande des Burnout sind und eigentlich mehr tragen als sie können – nur: Dein Kind bekommt das gar nicht mit.
Aber eben das ist wichtig: Dein Kind DARF spüren, wenn es mit seinem Verhalten den anderen auf den Zeiger geht. Denk nur an Deine anderen Beziehungen, gern auch Liebesbeziehungen – auch die sind nicht lebendig, wenn eine(r) immer nur zurückweicht und alles entschuldigt, was da so an Müll herübergeflogen kommt: Ja, mein Mann ist halt manchmal genervt. Sein Job ist grad auch so anstrengend. Seine Mutter letztes Jahr gestorben. Und ich hab auch nicht immer Zeit für ihn. Also: Das Verständnis in Ehren, aber es braucht auch manchmal ein Signal in Richtung: so ist das nicht gut. Denn: es tut mir nicht gut, und es tut uns nicht gut. Lass uns deshalb überlegen, dass wir rasch aus diesem Modus rauskommen.
Denn genau das beobachte ich eben auch oft: dass Eltern dann eben wegen dieser grund-apologetischen Haltung zu spät die Kurve kriegen um Herz und Klarheit in Balance zu bringen. Da wird noch mal ein Jahr die Bedürftigkeit des Kindes „gesehen“ – aber vielleicht nicht gesehen, dass es eigentlich unzufrieden ist und seinen Frust nur noch abreagiert – statt gemeinsam einen neuen Modus einzuüben, der allen gut tut.
Puuh, jetzt habe ich aber viel gesagt, aber das will ich noch hinzufügen: Auch Dein Frust ist groß, und klar ist man dann schnell bei radikalen und tatsächlich falschen Methoden. Um da rauszukommen empfehle ich gerne, dass Du guckst, wie Du, wie ich es nenne, „auf die Spur der Freude“ kommst – also möglichst viel von dem in den Alltag reinbringst, was DIR Flügel macht. Kleine Projekte, die Dich begeistern, und die umgeben sind mit einer Hülle von Freude, das werden dann auch die anderen spüren.
Und gerade bei diesem Thema empfehle ich: mein „Herz-und-Klarheit-Buch“.
Bald startet meine neue Vortragsreihe: “Themenabende mit HRP”. Folgende Vorträge könnten hilfreich sein:
- Orientierung geben – Wie geht das?
- Die Autonomiephase des Kleinkinds – Geht es da wirklich nur um Autonomie?
- Kooperative Autonomie – Was wir von indigenen Gemeinschaften lernen können
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Leoni Bönhof
haha, das “Umpf” haben wir tatsächlich auch im Wortschatz, um zu benennen, das das große Kind ein bisschen mehr Abenteuer, Action, andere Leute und Welt da draußen braucht. Wohl von Loriot entliehen (hach, ich bin alt 🙈😅).
Gerne auch verwendet “die Luft muss scheppern” 😅.
Im Optimalfall hätte man – außer natürlich dem Kindergarten – dann die Rückfallebene gemischt-altrige informelle Kindergruppe 🤓, oder zumindest ein, zwei Freunde, mit denen das Kind man im Garten oder Keller dann aus Restholzstückchen was schreinern und danach noch draußen so unsupervidiert wie möglich herumstromern kan….
Habe diesen schönen Beitrag wieder sehr genossen! 😊😊😊
Monika K.
Selbstverständlichkeiten loben wir nicht. Kinder verdienen Lob, wenn es Überwindung gekostet hat, oder Verzicht, zu Gunsten etwas Gutem für jemand anderen. Inflationäres Lob wird unwirksam, contraproduktiv.
Auf der Straße beobachte ich öfter, wie Eltern sich bestimmen lassen vom Kind, sprich steuern lassen, sogar die Mutter sich schlagen lässt ohne dass sie sich wehrt – da ist etwas verkehrt herum. Zitat HRP: “Wo (zwischen den Geschwistern) Unfug passiert, Bosheit oder gar Gewalt, beziehst Du mit Herz und Klarheit Position : WIR SIND EINE FAMILIE, UND SO GEHEN WIR NICHT MITEINANDER UM. (Ich vermisse diese Haltung in manchen Familien: Nonsense ist Nonsense, und es ist dein Job das den Kindern zu sagen, weil sie Sinn und Unsinn nur dadurch unterscheiden lernen).”
Kinder haben Rechte, und sie haben auch Pflichten: zB Respekt vor den Eltern und allen Mitmenschen. Das müssen Kinder lernen und Erwachsene sollten es vorleben: Respekt im Umgang mit jedem. Erwachsene müssen nicht alles mitmachen. Da ist die Gabe der Unterscheidung gefragt. Und ja: Gemeinsam an etwas drittem arbeiten, gemeinsam sich darauf konzentrieren – heilt alles.