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Beratungsfrage21. Oktober 2025

Kita-Eingewöhnung: Abbrechen oder Durchhalten?

Meine Tochter (4,5) hatte sich auf den Kindergarten gefreut. In den ersten Tagen lief die Eingewöhnung gut, sie wollte sogar länger bleiben, solange ich in der Nähe war. Am dritten Tag sollte ich in einem anderen Raum warten, „damit sie auch Kontakt zu anderen Kindern aufnimmt“. Sie wollte das nicht, akzeptierte es aber. Am Freitag bin ich das erste Mal für eine Stunde nach Hause gefahren.

In der nächsten Woche sollte ich wieder im Nebenraum bleiben, obwohl meine Tochter wollte, dass ich bei ihr im Raum bleibe. Am Mittwoch meinte die Bezugserzieherin zu mir, dass meine Tochter eingewöhnt sei und ich ihr einfach erklären müsste, dass ich andere Dinge zu Hause erledigen müsste. Das habe ich dann auch gemacht. Meine Tochter wollte aber nicht, dass ich gehe und hat sich an mir festgeklammert und geweint und verzweifelt “Mama” geschrien. Die Erzieherin hat sie mir dann vom Arm genommen und weggetragen. Sie hat sich dann wohl nach 30 Sekunden wieder beruhigt und schien auch relativ “normal”, als ich sie abholte. Sie hat aber Zuhause immer wieder betont, dass das nicht in Ordnung für sie war.

Auch am nächsten Tag ließ sie sich nach langem Zureden darauf ein und ging sogar für 4 h mit in den Wald.

Im Spiel hat sie aber wohl kaum mit den anderen Kindern gesprochen, obwohl sie anderen Kindern gegenüber eigentlich sehr offen ist.

In der nächsten Woche wollte sie partout nicht in die Kita. Da fing es auch an, dass sie keinen Schritt von meiner Seite weichen wollte. Der Kindergarten wollte trotzdem nicht, dass ich mit in den Raum komme, „weil der Rückschritt zu groß gewesen wäre“. Als meine Tochter einmal die Erzieherin bat, mich anzurufen, wurde dies abgelehnt.

Dann wurde auch noch die Bezugserzieherin krank und meine Tochter hat sich gar nicht von mir weggetraut. Als sie sich einmal getraut hat, wurde von einer der Erzieherinnen auf sie eingeredet, dass das ja so auch nicht weiterginge und dass es besser sei, wenn ich sie einfach bringe und abhole und nicht im Nebenraum sitze. Das hat sie dann natürlich wieder so verunsichert, dass sie danach wieder nicht mehr von mir weggegangen ist.

Auch Zuhause wollte sie immer ganz nah bei mir sein. Ihr Vater wollte mit ihr in den Zoo fahren, sie wollte aber auf keinen Fall ohne mich mit. Auch bei meinen Eltern, bei denen sie regelmäßig alleine übernachtet hatte, musste ich immer ganz nah bei ihr sein.

Jetzt habe ich meine Tochter erstmal aus der Kita genommen. Im Gespräch dort hieß es, ihr Verhalten sei „normal“ – das Weinen, panische Schreien, das Nicht-von-der-Seite-weichen, das gehöre zur sogenannten Transition, da müsse man durch.

Ich halte das Verhalten meiner Tochter für absolut nicht normal. Ich merke, dass es unserer Beziehung wirklich geschadet hat und wir im Moment im Prozess der “Heilung” sind. Ich zweifle, dass diese Kita die richtige für meine Tochter ist.

Danke, und hier gleich eine Zusammenfassung: Ich finde deine Entscheidung richtig. Wie gut, dass du auf dein Gefühl gehört hast.

Ganz ehrlich: ich bin erschüttert, wie sich die pädagogischen Fachkräfte hier verhalten haben. Manches davon ist den Umständen geschuldet – etwa dem Personalmangel und dass die Bezugserzieherin krank wurde. Beides macht dem Kind Stress und erschwert den Beziehungsaufbau.

Das Hauptproblem aber sehe ich in einem krassen Missverständnis, wie eine entwicklungsgerechte „Eingewöhnung“ aussieht.

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Erstens. Es geht um den Aufbau von Vertrauen – und das wurde enttäuscht. Eingewöhnung heißt: dein Kind gewöhnt sich an die zunächst fremden Menschen und Abläufe, so dass sie ihm keine Angst mehr machen. Wenn es gut läuft, macht dein Kind dabei immer wieder die Erfahrung: Das ist zwar anders als zu Hause, aber es bringt mich nicht in Not. Oder wenn ich mal Stress empfinde, dann komme ich da wieder raus, zum Beispiel mit Hilfe meiner neuen Bezugspersonen. Die Erwachsenen in der Kita halten hier offenbar Wache, dass mir nichts passiert und der Laden gut läuft. Dieser „Schutzpakt“ wurde gebrochen, und zwar mehrmals. Etwa dadurch, dass die Erzieherin dein Kind mit Gewalt zur Trennung von dir gezwungen hat – sie also „kalt“ in Not gebracht hat. Kein Wunder kann deine Tochter dem Projekt Kita dann nicht mehr trauen und sich dort sicher fühlen.

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Zweitens. Deine Tochter war eben nicht „eingewöhnt“, als du fortgeschickt wurdest – und eine Erzieherin sollte das besser einschätzen können. Wenn du dein Kind als ängstlich und angespannt erlebst, ist es noch nicht trennungsbereit. Trennungsbereitschaft zeigt sich darin, dass du dein Kind in einem entspannten Kontakt mit den Erzieherinnen und den anderen Kindern erlebst, dass es Kommunikations- und Spielangebote auch annimmt und sich auch immer besser traut, sich einzubringen und auch mitzuteilen (samt seiner Gefühle). Es erkundet immer wieder auch die Räume und spielt auch immer mehr außerhalb von deinem „Schutzschatten“. Das hast du aber ganz anders erlebt: deine Tochter hat sich innerlich „versteckt“ und ihre Gefühle dann erst zuhause gezeigt. Sie konnte noch keinen Kontakt zu den anderen Kindern aufnehmen und war noch ganz stark auf dich bezogen.

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Drittens. Die Fachkräfte in dieser Kita haben komplett falsche Annahmen über den Trennungsprozess. Sie wollten dir weißmachen, dass die panische Reaktion und Verweigerung deiner Tochter normal sei und man „da eben durch“ müsse. Und genau das stimmt nicht. Wir müssen da ganz klar unterscheiden: Dass ein kleines Kind die Trennung von seiner Bindungsperson als traurig erlebt, etwa wenn es morgens in die Kita gebracht wird, das ist normal (und kann auch nach der Eingewöhnung immer wieder Thema sein). Trennungsschmerz ist ein Teil von Bindung. Dass du als Mama oder Papa dabei manchmal auch traurig bist, gerade am Anfang, auch das ist normal (dein Kind kommt damit klar, solange du insgesamt positiv im Herz bist und mit der Trennung etwas Richtiges und dir Wichtiges verbindest). Ich finde, ErzieherInnen sollten sich sehr kritisch hinterfragen, wenn sie Eltern vorwerfen, sie „könnten nicht loslassen“.

Insofern können auch Tränen zur Trennungssituation gehören. Nur: Tränen sind nicht gleich Tränen. Beim normalen Abschiedsschmerz sind Tränen eine Regulationshilfe, sie sind sozusagen „warm“. Aber Tränen können auch Angst, Panik und Verzweiflung anzeigen, dann sind sie lähmend und „kalt“ – und verhindern den Aufbau von Vertrauen. Wichtig ist dann, wie es weitergeht. Findet das Kind dann zur Ruhe und kann wieder aus seinen Kräften schöpfen? Kann es sich trösten lassen und sich dann den anderen zuwenden, dem Miteinander, dem Spiel? Oder macht es lange einen gestressten, zurückgezogenen, deprimierten Eindruck? Gute ErzieherInnen erkennen den Unterschied und melden das dann auch zurück (damit das dann aber auch eine Hilfe ist, muss auch zwischen dir und den ErzieherInnen ein Vertrauensverhältnis bestehen, und das sehe ich hier nicht).

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Viertens. Der Eingewöhnungsprozess stand offenbar unter Zeit- und Erwartungsdruck – das untergräbt die Eingewöhnung! Der Aufbau von Sicherheit ist extrem individuell und kann nicht „geplant“ werden. Das ist der Grund, weshalb kein einziges Eingewöhnungsmodell einen festen Zeitplan vorsieht. Druck sorgt dafür, dass das Tempo des Kindes übergangen wird, und das erreicht dann das Gegenteil des Gewünschten, du hast es erlebt.

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Fünftens. Die Eingewöhnung verläuft auch nicht linear! Ganz schlimm finde ich deshalb, dass hier offenbar von einem rigiden Stufenmodell ausgegangen wurde. Du durftest deinem Kind keine Sicherheit mehr geben „weil der Rückschritt zu groß gewesen wäre“. Ich vermute, dass im Hinterkopf der ErzieherInnen ein Konditionierungsmodell steckt, wie man es vom klassischen Hundetraining her kennt. Aber genau das untergräbt dann den Aufbau von Vertrauen, welcher immer ein delikater, rücksichtsvoller Prozess ist. Die Brücke muss tragen, bevor man darüber geht! Nur wenn ein Kind nicht überfordert wird kann es Selbstvertrauen und Vertrauen in die ErzieherInnen entwickeln. Ist der Zeitpunkt einer Trennung zu früh gewählt, stürzt die Brücke oft wieder ein – und es dauert umso länger, bis das Ziel erreicht ist. Eingewöhnung ist also immer auch die Suche nach dem individuell passenden Vorgehen.

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Sechstens. Und genau deshalb ist es falsch, wenn Eltern „übergangen“ werden, wie es hier geschehen ist. Du kennst dein Kind, du bist die Expertin. Wenn ein Kind zum Beispiel nach der Trennung „schon nach 30 Sekunden wieder aufhört zu weinen“, dann kann dahinter echtes Trostempfinden stehen – oder eben ein Kind, das sich bei Fremden stark zurücknimmt – wie in eurem Fall. Du hast gespürt, wo dein Kind steht. Die Erzieherin hätte die Ohren spitzen müssen!

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Siebtens. Wir unterschätzen noch immer, wie wichtig der „Freundschaftspakt“ zwischen den Eltern und den Fachkräften ist. Ich finde die Frage unglaublich wichtig, wie Kinder Bindungen zu fremden Menschen und Umwelten aufbauen. Gängige Eingewöhnungskonzepte werden oft als „Entwöhnungsprojekte“ verstanden – Mama oder Papa sollen sich immer mehr verknappen und zurückziehen, damit das Kind eigene gute Erfahrungen in der Einrichtung machen kann und Vertrauen aufbaut. Da ist nichts dagegen einzuwenden, wenn das ausgelegte Sicherheitsnetz dann auch trägt, wie gesagt. Aus der entwicklungspsychologischen Forschung ist bekannt, dass kleine Kinder dann Vertrauen zu zunächst fremden Menschen aufbauen, wenn sie spüren, dass diese mit ihrer Bindungsperson im Vertrauen stehen. „Die Freunde von Mama/Papa, sind auch meine Freunde“, ist die Devise des Kindes. Was also, wenn ein Kind erlebt, dass die Fachkräfte eigentlich vor allem daran interessiert sind, dass Mama/Papa verschwindet? Wenn sie eben *keinen* alltäglichen und freundschaftlichen Begegnungen miterleben? „Warum darf meine Mama in der Kita nicht mitessen“, „Warum wird sie dann auch noch weggescheucht?“ Ich finde, dass es an der Zeit ist, diesen Aspekt noch einmal von Grund auf zu bedenken, und bin wirklich happy, dass neuere Eingewöhnungskonzepte dem mehr Rechnung tragen.

Aber zurück zu Dir. Das ist für deine Tochter und dich richtig blöd gelaufen. Du hast das glücklicherweise erkannt, weil du gesehen hast, dass deine Tochter eben nicht nur normalen Trennungsschmerz erlebt, sondern eine tiefgreifende Verunsicherung, die sich auch in Wesensveränderungen und anhaltenden Stressreaktionen zeigt. Typisch auch, dass dadurch auch eure Beziehung belastet ist, und deine Tochter zornig und frustriert *gegen dich* reagiert. Das ist eine normale, gute Reaktion, die du nicht persönlich nehmen darfst. Und du siehst das Thema ja auch selbst sehr deutlich: jetzt geht es um Heilung, Wiederverbindung und Vertrauensgewinn. Und das wird durch das normale, achtsame Miteinander auch passieren, und dann kann dein Kind allmählich auch wieder die Fühler ausstrecken, auch in einer neuen Kita.

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1 Kommentar

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  • Carina Höchtl

    Bei meinem Sohn hat die Eingewöhnung kurz nach seinem 4. Geburtstag gute 8 Monate gedauert, in einem wunderbaren Montessori Kindergarten. Ich durfte ihn immer begleiten, dann saß ich meistens in der Küche, trank einen Tee und las mein Buch. Meinem Sohn blieb Druck und Trennungsangst erspart und er entwickelte sich in dieser Zeit zu einem sehr selbstbewussten Kind. Jetzt ist er 5, geht das zweite Jahr und er läuft voller Freude hinein und ich kann sofort nach Hause fahren. Er geht in Summe 12 Stunden pro Woche, vielleicht weniger als in anderen Kindergärten, aber wir möchten das so und genießen unsere gemeinsame Zeit. Wenn hier das Vertrauen bei einem Kind zerbricht, verfolgt es das Jahre. Ich hoffe, dass immer mehr Mütter auf ihre angeborenen Instinkte vertrauen und für ihre Kinder handeln, auch wenn es nicht dem System entspricht.