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Frühe Bildung – wer macht da die Ansagen?

Der Blick in die Geschichte zeigt einen interessanten Zusammenhang: Was in der Pädagogik gerade als gut und richtig gilt, hat wenig mit den Kindern selbst zu tun. Es spiegelt vielmehr die Hoffnungen, Ängste und Erwartungen der Erwachsenen wieder. Das erklärt, warum sich die Theorien über Kinder und über die »richtige« Erziehung beständig wandeln – obwohl sich an den Bedürfnissen der Kinder im Lauf der Zeit doch eher wenig ändert. Schauen wir uns das Dilemma einmal am Beispiel der »Frühen Bildung« an.

Als dem Wirtschaftswunder in den 1980er Jahren allmählich die Puste ausging, kam auch in der Pädagogik prompt ein neuer Wind auf. Die Bildung sei an die Herausforderungen der Wissensgesellschaft anzupassen, die »Kuschelpädagogik« abzustellen und den Kleinen mehr Einsatz abzuverlangen. Unter dem Eindruck des PISA-Schocks äußerten die deutschen Arbeitgeberverbände sogar die Befürchtung, »dass in Zukunft nicht mehr genügend Humankapital zur Verfügung steht, um den produktiven Einsatz des Sachkapitals zu ermöglichen.« Es sei jetzt Aufgabe der Elementarpädagogik, »die noch nicht erschlossenen Bildungspotenziale auszuschöpfen.«  Dabei gehe es vor allem um die Hebung des kognitiven Potenzials. »Vor allem die kognitiven Fähigkeiten der Kinder wurden bislang unterschätzt und zu wenig oder nicht gezielt gefördert«, beklagt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. KiTas seien schließlich kein »Familienersatz«, sondern Stätten der »frühen Bildung«. 

Man meint den eisiger werdenden Wind der Globalisierung regelrecht hören zu können, der da auf einmal an den Kindergartentüren rüttelt. Selbst die Unternehmensberatung McKinsey engagiert sich jetzt für die Bildung der ganz Kleinen. Deren Chef, Prof. Jürgen Kluge, schreibt der Politik ins Handbuch: »Entweder gelingt es uns, mit hervorragend ausgebildeten Menschen die weltweite Deutungshoheit in den Wachstumsbereichen der Wirtschaft, in Wissenschaft und Kultur zu erlangen, oder das Land versinkt in Bedeutungslosigkeit, wirtschaftlich, sozial und kulturell.« Der Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit solle am Besten bei denen beginnen, die bisher in den Kitas lediglich betreut, aber nicht gebildet würden. »Der Versuch, den Kindern ihre Kindheit zu lassen« habe nämlich »zur Vernachlässigung von Kindern geführt.« Er empfiehlt stattdessen, den Kindern »zum Glück durch Anstrengung zu verhelfen.« Der »Schonraum«, in dem die Kinder bisher gelebt hätten, solle für frühe Bildung genutzt werd en. Und damit Schluss gemacht werden mit einem »Verständnis von Kindern und Kindheit, das uns bis heute prägt: die Idealisierung. Das Kind sei aus sich heraus wertvoll.« 

Der jetzt außerordentlich bekannte Kindheitsforscher, Pädagoge, Anthropologe, Genetiker, Psychologe, Präsident des Didacta-Verbandes der Bildungswirtschaft und jahrzehntelanger Leiter des Bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik, Prof. Dr. Dr. Dr. Dr. (h.c.) Wassilios E. Fthenakis popularisiert das Konzept der »Meta-Kognition«, durch das die Kinder schon früh »lernmethodische Kompetenzen« erwerben sollen – und fordert »Fachkräfte, die ein Kind von der Geburt bis mindes tens zum Ende der Grundschule begleiten und mit ihm gemeinsam Bildungsprozesse organisieren«.

Kurz, in nur wenigen Jahren hat sich der Blickwinkel auf das Kind komplett verändert.

Die Agenda des Kindes

Ich will hier zunächst einmal ganz von diesen neuen Ansagen weg schwenken und stattdessen die Entwicklung der Kinder betrachten. Vor welchen Entwicklungsaufgaben stehen sie? Wie sehen die Herausforderungen aus, denen sich Kinder stellen müssen, damit sie erfolgreich groß werden können? Kurz, wie sieht die »Bildungskarriere« aus Sicht des Kindes aus?

Ich denke, wir staunen manchmal zu wenig, welch gewaltige, grundlegende Herausforderungen Kinder auf ihrem Entwicklungsweg zu bewältigen haben:

  • Sie müssen nach und nach lernen, mit sich selbst klar zu kommen – also ihre Gefühlswelt, ihre Impulse und Emotionen in den Griff bekommen. Sie müssen sozusagen die Steuerung ihres Ichs erlernen (Entwicklungspsychologen bezeichnen diese Entwicklungsaufgabe als Aufbau exekutiver Kontrolle).
  • Sie müssen aber auch lernen, mit anderen Menschen klar zu kommen und als Gruppe nach Regeln zu funktionieren (sie müssen ihre soziale Kompetenz aufbauen). Als Voraussetzung hierzu müssen sie lernen, sich in die Gedanken , Gefühle und Werte der anderen hinein zu versetzen und die Welt auch aus deren Perspektive zu sehen, zu begreifen und zu bewerten (und das nach und nach auch in moralischer Hinsicht).
  • Und sie müssen innere Stärke aufbauen – also eine Art Rückgrat, das ihnen hilft, bei Widerständen nicht gleich aufzugeben (sie müssen Resilienz entwickeln, wie Entwicklungspsychologen es nennen, eine Fähigkeit, die sowohl soziale als auch selbstregulative Kompetenzen erfordert, und die ich hier deshalb gesondert aufführe).
  • … und noch etwas steht auf dem Plan, etwas spezifisch Menschliches: Sie müssen das Wunder der Kreativität vollbringen – also nicht nur kopieren, was schon da ist und was die anderen machen, sondern immer auch das Bestehende verändern und zu Neuem formen.

Diese Kompetenzen sind allesamt für die menschliche Entwicklung unverhandelbar. Kein Wunder, dass sie auch als Fundamental- oder auch Metakompetenzen des Kindes bezeichnet werden. Alle diese Entwicklungsschritte sind nämlich die Grundlage einer »unternehmerischen«, ausgeglichenen, selbstständigen, selbstsicheren Persönlichkeit. Sie sind gleichzeitig unabdingbare Voraussetzungen eines forschenden, neugierigen und gleichzeitig achtsamen Zugangs zur Welt.

Das pädagogische Dilemma

Diese Fundamentalkompetenzen haben eines gemeinsam: Sie können dem Kind nicht von Erwachsenen in didaktischer Absicht vermittelt werden. Man kann ein Kind nicht darüber belehren, wie es innerlich stark wird. Auch Mitgefühl kann man einem Kind nicht beibringen. Und soziale Kompetenz lässt sich erst recht nicht anerziehen – hier versagt selbst das pädagogisch wertvollste Programm. Genauso wenig kann man sich Kreativität erarbeiten – ja, man kann sie nicht einmal üben (üben Sie einmal Kreativität mit einem Kind).

Mehr noch, beim Aufbau der Fundamentalkompetenzen stößt selbst die Vorbildpädagogik an ihre Grenzen: Nicht wenige Kinder leben mit innerlich starken Eltern oder Erzieherinnen, finden aber selbst keinen Ansatz, um selbstbewusst mit dem Leben umzugehen – man kann sich, so scheint es, sein Fundament nicht borgen oder von anderen übernehmen.

Die fundamentalen Lern- und Lebenskompetenzen sind NICHT VERMITTELBAR. Sie müssen vom Kind selbst erreicht werden.

Diese Schätze, von denen hier die Rede ist, sind allesamt Erfahrungsschätze. Sie können von niemand anderem als dem Kind selbst gehoben werden – das Fundament der kindlichen Entwicklung beruht nicht auf geleitetem Lernen, sondern auf Eigenerfahrung.

Aber wie schafft das Kind das? Wie geht es vor? Hier sind wir beim magischen Kern der kindlichen Entwicklung. Schüttelt und rüttelt man die Befunde der Entwicklungspsychologie, so lässt sich der Aufbau der Fundamentalkompetenzen nämlich am besten so zusammenfassen: Für den Aufbau ihrer Fundamentalkompetenzen nutzen die Kinder einen durch Beziehungen gesicherten Prozess der Selbstbewährung.

Die kindliche Entwicklung beruht auf einem durch Beziehungen abgesicherten Prozess der Selbstbewährung.

Schauen wir uns das Schritt für Schritt an.

Erstens: Durch Beziehungen gesichert… – was heißt das? Die Antwort erschließt sich, wenn wir einmal die kindliche Entwicklung in ihren Grundzügen nachzeichnen. Da begegnet uns nämlich ein von den ersten Lebenstagen an auf Selbstwirksamkeit angelegtes Kind. Ein Kind also, das die Welt kennenlernen und erforschen will und das seine sozialen Bezüge mitgestalten will. Bei diesem »Gestalten im Neuland« lernt das Kind sich selbst, die anderen Menschen und seine Umwelt kennen – diese Entdeckungsreisen sind sozusagen die Matrix des frühkindlichen Lernens.

Allerdings wird diese Gestaltungslust nur unter bestimmten Bedingungen aktiviert – die Kleinen brauchen für ihre Entdeckungsreisen Geleitschutz. Sie wechseln nämlich erst dann in den Entdeckermodus, wenn sie sich emotional sicher fühlen. Dies setzt funktionierende, also verlässliche und feinfühlige Beziehungen zu ihren Bezugspersonen voraus (ob das die Eltern sind oder die pädagogischen Fachkräfte). Diese nach der klassischen Bindungstheorie auch als »sichere Bindung« bezeichnete Grunderfahrung bildet sozusagen den Rahmen für das kindliche Erfahrungslernen. Gestresste Kinder lernen nicht, sie haben keinen Glanz in den Augen und sie können ihr wichtigstes Entwicklungskapital – ihre Neulust – nicht nutzen.

Zweitens:  Prozess der Selbstbewährung… – was bedeutet das? Kinder legen es auf Schritt und Tritt darauf an, sich selbst zu bewähre n. Anstatt direkt von A nach B zu laufen, steuern sie geradewegs auf ein Mäuerchen zu – um darauf zu balancieren. Sie suchen Widerstände. Und in deren Wahl folgen sie einem seltsamen Prinzip: die Widerstände sollen so beschaffen sein, dass sich die Neulust des Kindes in etwa die Waage hält mit seiner Angst. Kinder zieht es also in eine Art »Kribbelzone« – die Kinderbücher sind voll von diesen abenteuerlichen Begegnungen mit der Welt. Die Psychologie nennt diese Kribbelzone auch »Zone der proximalen Entwicklung« – und weist darauf hin, dass Kinder gerade dort ihre sich entwickelnden Fertigkeiten maximal beüben. Und auch hier begegnet uns ein Dilemma: Man kann Kindern diese Kribbelzone nicht verordnen, sie liegt für jedes Kind an jedem Tag woanders. Auch ihren »Kribbelmotor« aktivieren die Kinder nicht per Ansage der Erwachsenen – sie aktivieren ihn nirgendwo verlässlicher als im selbst gestalteten Spiel.

Aber nicht nur das: Auch die Selbstbewährung ist zu große Stücken nur in und über Beziehungen möglich. Denn Kinder nutzen für ihr Lernen auf Schritt und Tritt eine Art Gerüst, das immer dort entsteht, wo Menschen unterschiedlichen Entwicklungsstandes (ob groß oder klein) miteinander in Beziehung treten. Ein gutes Beispiel für dieses scaffolding, wie es die Entwicklungspsychologie nennt, ist der Spracherwerb. Kinder können ja nur über die Ausgestaltung von Beziehungen zur Sprache finden – nur da finden sie das Geländer vor, an dem sie sich von den gehörten Wörtern zu deren Bedeutung hangeln können. Die Emotionen des Sprechenden beispielsweise bilden einen Teil dieses Gerüsts, aber auch seine Gestik, seine Mimik, der Kontext des Gesagten – und vor allem die Abstimmung des Gesprochenen auf die individuellen Möglichkeiten des Kindes (also die Erfahrung von Kontingenz, wie es in der Fachsprache heißt). Selbst das Sprechen-Lernen ist damit ein Prozess der durch Beziehungen geleiteten Selbstbewährung.

Für eine Pädagogik der Selbstbewährung

Nehmen wir das Gesagte Ernst, so treten die Widersprüche der heutigen Frühpädagogik offen zutage. Sie sind tiefgreifend.

Denn wo geht es, Hand aufs Herz, im heute gängigen pädagogischen Paradigma denn um Beziehungen? Wo um Selbstbewährung?

  • … nehmen wir die Beziehungen: in vielen KiTas herrscht hier Notstand. Es fehlen warme Hände, offene Ohren, achtsame Herzen, ermutigende Augen. Und das nicht nur deshalb, weil es an ErzieherInnen fehlt, sondern auch deshalb, weil inzwischen ein guter Teil der angeblich pädagogischen Arbeit ganz ohne die Kinder abläuft – da gilt es die Bildungsprozesse zu dokumentieren, den Entwicklungsverlauf der Kinder zu vermessen, Portfolios zu erstellen, den pädagogischen Ansatz zu verschriftlichen, und und und. Zudem ist die pädagogische Präsenz durch mangelnde Wertschätzung der ErzieherInnen geschmälert – die Gesellschaft redet ja viel von der Verantwortung und von dem Wert der Erzieherinnen, nutzt sie aber im Grunde als billige Servicekräfte aus.
  • … und nehmen wir die Gelegenheiten zur Selbstbewährung: Wo begegnen den Kindern denn die Abenteuer, wo die Gelegenheiten, über sich selbst hinaus zu wachsen? Wo können sie den Alltag mitgestalten? Wo haben sie Zugang zu unstrukturierter Natur, unstrukturiertem Spiel? Wenn in einer KiTa dann doch mal ein Feuer mit den Kleinen gemacht wird, dann allenfalls in einer Experimentierschale – damit die Kleinen lernen, dass warme Luft nach oben steigt. An über der Hälfte der deutschen KiTas wird inzwischen selbst in der »Küche« die Altersheim-Nummer durchgezogen – Aluschalen in die Mikrowelle, Plastikfolie abziehen, fertig. Und dann lernen die Kinder an der Bildungsinsel, wie sich Flüssigkeiten erwärmen. Wo sind sie frei von vorformulierten Erwartungen, Bildungszielen, Messungen und Verbesserungen?
  • …stattdessen geht es jetzt ganz zentral um etwas anderes: um die späteren Leistungen der Kinder, um die Beschleunigung ihrer Entwicklung. Im Grunde soll die Kita mit einem möglichst perfekten pädagogischen Catering dafür sorgen, dass die Kinder nachher das tun, was der Wirtschaftsstandort verlangt. Wer würde ein „Haus der kleinen Lebenskünstler“ mit Fördermitteln ausstatten (oder, noch schlimmer: ein „Haus der kleinen Altenpfleger“?). Als Rolle für die Erzieher innen ist in dieser Maschinerie das vorgesehen: dass sie die klugen Programme anderer umsetzen. Dass sie die Konzepte, die da von den Hochschulen, Stiftungen und der »Bildungswirtschaft« in die KiTas schwappen, an das Kind bringen. Sie sollen sich, bitteschön, als Bildungsanimateure betätigen. Beziehungen? Selbstbewährung? Das ist nicht der Punkt. Für jedes Problem gibt es ein pädagogisches Konsumprodukt als Lösung, ein von Experten entwickeltes, zertifiziertes und evaluiertes Modul. Und natürlich das »gemeinnützige« Angebot einer Stiftung. Spracherwerb? Da haben wir doch dieses Schlaumäuse-Programm von Microsoft (ein großzügiges Geschenk an die deutschen Kinder, selbstverständlich). Naturforschung? Darum kümmert sich inzwischen eine ganze Bildungsbürokratie mit über 100 Mitarbeitern. Und dieses »Haus« versorgt dann die Erzieherinnen mit einer 46-seitigen »Pädagogikbroschüre« – in der das Wort Beziehung nicht ein einziges Mal vorkommt.

Ich will damit nicht sagen, dass man in der KiTa nicht tolle Programme durchführen kann, dass man mit den Kleinen keine musikalische Früherziehung machen soll, kein Theater oder Tanz, und dass das Forschen kein Thema sein soll. All das IST für das Kind Thema. Aber eben nicht in einer programmatischen, auf das Erreichen von Erwachsenenzielen gerichteten Art.

Auch in der Pädagogik geht es um Interessen

Denn unser derzeitiger Ansatz in der Frühen Bildung beruht auf einem mehrfachen Missverständnis – und es hat damit zu tun, WER da für die Ansagen zuständig ist.

  • Frühe Bildung wurde von Anfang an missverstanden als eine Art besonders effiziente Vorbereitung auf die Berufswelt – man will die angeblich grenzenlose Neugier der Kinder nutzen, um sie frühzeitig auf ihre Rolle im globalisierten Wettbewerb vorzubereiten. Das genannte »Haus der kleinen Forscher« etwa wurde nicht gegründet, weil die Erzieherinnen eine Bildungslücke bei den Kleinen entdeckt hätten, sondern weil führende Industrie- Stiftungen mit dem Programm »langfristig einen Beitrag zur Nachwuchssicherung« in den entsprechenden Berufsfeldern leisten wollen, wie es in der Stiftungsmission heißt. 
  • Aus diesem Grunde dominierten in den Diskussionen um die »Frühe Bildung« von Anfang an die Perspektiven derer, die sich weniger für die Kinder selber interessieren, als vielmehr für deren zukünftige Funktionen auf dem Arbeitsmarkt. Gerade mit den inzwischen auch in der Frühpädagogik üblichen beständigen Messungen, Leistungsvergleichen, Evaluationen, und Dokumentationen wurde die Kernforderung der deutschen Unternehmerverbände ja praktisch 1:1 übernommen: ». .. erst nachzuweisende Standards an Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder sorgen für ein ergebnisorientiertes Lernen und für eine Strukturierung der Lernprozesse im Kindergarten.« Was sich beim Auf- und Umbau leistungsfähiger Unternehmen tausendfach bewährt hat, soll nun auch die Frühe Bildung der Kinder beflügeln: mehr Output durch Leistungsanreize, Standardisierung der Pädagogik, Leistungsvergleiche, Benchmarking. Durch ergebnisorientierte Investitionen und Entlohnung nach Resultat. Durch Einsatz von modernen Kommunikationstechniken und Management-Software. Das ist alles bestimmt nicht böse gemeint und kaum anders, als man sich das von älteren Herrschaften vorstellt , die auch schon mal ihr Enkelkind aus der Kita abholen. Aber das als Grundlage der Frühpädagogik? Ein Kind braucht zum Lernen nicht äußere Anreize, sondern innere. Es braucht nicht Evaluation, sondern Beziehungen, es braucht nicht Konkurrenz, sondern Rückhalt, es braucht nicht Lob für das Ergebnis, sondern Lob für die Anstrengung, es braucht kein Benchmarking, sondern Begeisterung für das, was da zu entdecken ist. Standards mögen für Waren taugen, aber ein Kind will in seiner Individualität erkannt werden.
  • Die KiTa-Pädagogik wird inzwischen dominiert von kommerziellen Angeboten. Rund um das Aufwachsen der Kinder ist ein milliardenschwerer Markt entstanden, auf dem alles zu Geld gemacht werden kann, was bisher Teil kostenfreier (Beziehungs-)Angebote war oder als Resultat kindlicher Selbstorganisation verstanden wurde. Auf diesem Markt verdienen nicht nur Anbieter von Produkten gutes Geld, sondern auch Dienstleister, »Experten«, Entwickler »pädagogischer« Module, von Lernsoftware , Beobachtungsbögen, Handbüchern, Anleitungen und Fortbildungen, und so weiter. Jede Entwicklungsförderung, die im Rahmen des normalen Kinderalltags »einfach so« passiert, stellt im Grunde dieses auf externe Dienstleistungen und Konsumprodukte beruhende Geschäftsmodell in Frage. Natürlich kann man Bewegungsförderung betreiben, in dem man evaluierte Programme nutzt, Experten in die KiTa holt und sich in kindgerechten Turnhallen an Gerätschaften übt. Man kann das aber auch den Kindern überlassen, indem man die Tür zu einem möglichst wilden, unstrukturierten Außengelände öffnet. Und natürlich kann man Sprachförderung über Expertenprogramme betreiben, aber Kinder haben das Sprechen schon zu Zeiten gelernt, als die Bildungswirtschaft dieses Thema noch nicht auf dem Radarschirm hatte. Und welche Gegenstände im Wasser schwimmen, und welche untergehen, war für Kinder schon vor den Zeiten des »Hauses der kleinen Forscher« Thema. Insofern erscheinen die vielfachen Verbandelungen zwischen Protagonisten der immer wieder neuen pädagogischen Konzepte und der Bildungswirtschaft doch erwähnenswert.

Um die derzeitige Situation in der »Frühen Bildung« noch einmal zusammenzufassen: Bis heute erschöpfen sich die gängigen Konzepte der Frühpädagogik in einer Art Rückwärtskonstruktion: Ausgangspunkt sind die Kompetenzen am Arbeitsplatz – daraus wird abgeleitet, was in der Schule gelehrt werden soll. Und der Kindergarten gilt dann als Vorbereitung auf die Schule – dort soll das geübt werden, was im Klassenzimmer gefragt sein wird. Kein Wunder, dass dem Spielen heute fast schon der Ruch der Geschäftsschädigung anhängt. Und die Krippen? Die dienen wiederum der Vorbereitung auf den Kindergarten…. Ja, und immer öfter werden dann auch schon Babys daraufhin belauert, was man ihnen denn schon beibringen könnte, damit sie schneller fit werden für die Kita, für die Schule, fürs Studium, für die Arbeitswelt.

Damit wird aber im Grunde das, was am Kind verwertbar ist, zum Kern der Pädagogik geadelt. Die Förderung setzt da nicht am Kind an, sondern an der späteren Leistung, die es im globalisierten Wettbewerb einmal erbringen soll. Da ist die Kindheit dann nur noch die Strecke, auf der sich Kinder für den Job warmlaufen .

Das reicht – aus meiner Sicht – als Maßstab für eine moderne, kindgerechte Pädagogik nicht aus. Natürlich brauchen Kinder eine gute Vorbereitung auf die Arbeitswelt der Zukunft. Aber man kann das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Der Kern der Frühpädagogik ist und bleibt die Persönlichkeitsbildung. In diesem Abschnitt der Entwicklung geht es um die Anlage des Lebensfundaments. Diese Aufgabe ist unverhandelbar, und sie kann nicht im späteren Leben nachgeholt werden.

Im heute gängigen Konzept der »frühen Bildung« wird im Grunde das, was am Kind verwertbar ist, zum Kern der Pädagogik geadelt. Die Förderung setzt da nicht am Kind an, sondern an der späteren Leistung, die es im globalisierten Wettbewerb einmal erbringen soll.

Wir sollten uns deshalb endlich darüber verständigen, was Frühe Bildung eigentlich ist. Und welchen Zwecken sie dient. Gerade dieser Punkt erscheint mir wichtig. Denn wenn wir jetzt eine Art totale Pädagogik vom ersten Lebenstag an fordern, zur »Optimierung der kindlichen Bildungsbiografie« aufrufen und von Kindern als »Humankapital« reden, dann sollten sich gerade die Eltern immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie nicht nur die Fachkräfte von morgen erziehen, sondern auch zukünf tige Mütter und Väter, Lebenspartner und Lebenspartnerinnen, Bürger und Bürgerinnen. Denn sonst könnte eintreten, was der Pädagoge und Lernforscher Salman Ansari so beschreibt: »Aus Angst, dass ihre Kinder in einer durch Wettbewerb gekennzeichneten Gesellschaft scheitern könnten, verhindern viele Eltern und auch die sogenannten fortschrittlichen Kitas der Republik die Kinder darin, zu entdecken, was in ihnen steckt.«

Die Ausgangslage für eine solche Diskussion ist gut – schließlich sind sich heute alle politischen Lager einig (wo gibt es das denn einmal?), dass Kinder frühe Bildung brauchen. Deshalb noch einmal: wir sollten diese Chance nutzen, um der frühen Bildung ein Gesicht zu geben, das zu den Kindern passt.

Wir werden dabei allerdings erst dann voran kommen, wenn wir uns eine weitere Frage stellen: Wo kommen denn die Ansagen in der »Frühen Bildung« her? Wer ist in dieser pädagogischen Diskussion mit welchen Interessen dabei? Denn Erzieherinnen und auch Eltern fühlen sich in dem gegenwärtigen Gestöber aus immer neuen Programmen, Initiativen, Zertifizierungen und Bildungsversprechen ja oft genug wie Blätter im Wind.

Und genau deshalb läge doch die Frage nahe: Wer macht den Wind?

1 Kommentar

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  • K. Jähne

    Sehr geehrter Herr Renz Polster,

    Sie sprechen einige wichtige Punkte an, doch ich empfinde Ihren Artikel als sehr einseitig ausgerichtet.

    Frühe Bildung wurde als Fundament erkannt und, wie alles im Kapitalismus – auch als Markt -soweit so gut.

    Trotzdem die professionelle Einrichtung so per se zu verurteilen halte ich für grob fahrlässig. Es gibt auch viele Stimmen, die für eine ganzheitliche und am Kind orientierte Pädagogik stehen. Denn auch Kinderläden, Montessori-Kindergärten und Schulen oder andere reformpädagogische Ansätze haben Hochkonjunktur

    Darüber hinaus können Institutionen wie KiTa oder Schule für viele Kinder eine echte Alternative zu einem dysfunktionalen Elternhaus darstellen, nämlich bei Erzieher*Innen, die zwar das Essen in der Mikrowelle erwärmen und dann versuchen mit den Kindern schon mal physikalische Gesetze zu erklären, aber den Kinder trotzdem liebevoll begegnen und ihnen die so wichtige Erfahrung des “Gesehen-Werdens” geben.

    Es mag sein, dass die Kinder in früheren Jahrzehnten mehr Freiraum hatten in dem sie sich ohne erwachsene Einmischung ausprobieren konnten. Ich wage jedoch zu bezweifeln, dass in Zeiten in dem es vor allem wichtig war, dass sich Kinder gut benehmen, sie mehr in ihren Bedürfnissen wahrgenommen wurden als dies heute der Fall ist.

    Des Weiteren gibt es sehr wohl hinreichend ausprobierte Ansätze, in denen die Vereinbarkeit der von Ihnen zitierten Forderungen und einem gesunden, starken und selbst bestimmten Menschen vereint wird. Ich spreche von der Montessori-Pädagogik. Maria Montessori nahm bereit Ende des 19. Jahrhunderts wahr, dass Kinder gerne arbeiten und zu erstaunlichen feinmotorischen und kognitiven Leistungen im Stande sind und dabei als Persönlichkeit regelrecht aufblühen…..

    Denn letztendlich kritisieren Sie die Logik der kapitalistischen Verwertbarkeit selbst beim Kinde, aus meiner Sicht zu Recht (!), aber dann muss der Kapitalismus abgeschafft werden und nicht die Hilfe in der Kinderbetreuung für Eltern in Form von Kindergärten, etc.

    Mit freundlichen Grüßen,
    K. Jähne