Erhalte zu jedem gekauften Buch eine Widmung von Herbert Renz-Polster gratis dazu!
Wie viel Medienzeit ist ok für Kleinkinder?
Meine beiden Kleinen, 2,5 und 4,5 Jahre, sind unglaublich aufs Tablet fixiert – am Liebsten würden sie den ganzen Tag Kinderserien gucken. Wie lange sollten sie schauen dürfen? Ich kriege dazu total unterschiedliche Ratschläge.
Ich muss dir gleich sagen: auch ich habe keine Antwort in Zahlen, denn die gibt es nicht.
Ganz generell, damit du meine eigene Haltung kennst: Ich bin beim Medienthema zwar nicht im Team Panik – aber im Team Vorsicht. Hier meine Koordinaten:
Die generelle Empfehlung der Kinderärzte („keine Bildschirmmedien unter 3“) finde ich wenig alltagstauglich und zu pauschal, man sollte den Eltern auch nicht Angst machen, dass ein kleines Gehirn allein durch das Gucken von Videos geschädigt wird, das ist Unsinn. Ich verstehe aber auch Eltern, die sagen: in den ersten paar Jahren reichen uns die „alten“ Medien vollauf, wir fahren damit besser.
Auch das ist mir wichtig: Für die „richtige“ Dosis werden gerne wissenschaftliche Studien angeführt. Nur: die Wissenschaft kann die Dosisfrage aus methodischen Gründen gar nicht beantworten. Und für dein Kind sowieso nicht. Und wenn ich die Studien dann durchgehe, die da ins Feld geführt werden, dann merke ich, dass die „ExpertInnen“ die Studien oft gar nicht gelesen haben. 😉
Deshalb halte dich an das, was du bei deinen Kindern beobachtest und was du selbst über ein gutes Leben mit Kindern weißt:
1. Auf das Kind kommt es an.
Wenn dein Kind beim Gucken Entspannung findet, sich freuen kann, im positiven Sinn „angeregt“ wird – gut. Andere Kinder sind schnell überreizt, und das vllt schon nach kurzer Zeit (die ganz Kleinen auch schon nach wenigen Minuten). Sie finden dann danach schwer wieder ins normale Miteinander und ins Spielen rein, sind vielleicht unleidlich und können ihre Emotionen schlecht regulieren. Das kann dann lästig sein, auch für dich.
2. Auf dich kommt es an.
Bildschirmmedien sind perfekte und sehr verlässliche Babysitter – auf die sind die einen Eltern mehr, die anderen weniger angewiesen. Und Eltern haben auch bei den Medien eine sehr unterschiedliche Toleranzgrenze, in etwa wie bei den Süßigkeiten. Auch du musst dich wohlfühlen können mit dem was im Leben deines Kindes läuft.
3. Auf die Inhalte kommt es an.
Zum einen, weil manche Kinder sehr sensibel sind, und von manchen Inhalten leicht beängstigt oder verunsichert werden. Dein Kind soll auch hinter dem Bildschirm eine Welt erleben, die ihm geheuer, nachvollziehbar und „verdaubar“ ist.
Findest du eine Serie selbst schäbig, so würde ich sie meinem eigenen Kind nicht zumuten. Kinder kleiden mit dem Erlebten ihre Seele aus, das ist nunmal so. Und kleine Kinder können noch nicht gut spüren, was ihnen wirklich gut tut. Andere sehen das anders.
4. Auf das Medium kommt es an.
Viele Kinder können Hörbücher leichter „verdauen“ als Filme. Beobachte einfach, wo und wann Medienstress bei deinen Kindern oder für die Familie entsteht.
5. Auf die Begleitung kommt es an.
Gerade die kleinen Kinder brauchen dich als Begleitperson durch die erlebten Geschichten, wie beim Bilderbuchlesen eben auch. Oder auch zum Austausch danach. Oder um den richtigen Moment zum Aufhören zu finden.
6. Auf die Situationen und Routinen kommt es an.
Manche Kinder benutzen Bildschirmmedien um Stress abzubauen. Das kann funktionieren. Andere sind danach erst recht gestresst. Oft hilft es sehr, wenn die Kinder eine klare Medienroutine haben, z.B. „eine Folge nach der Kita“, oder wie auch immer. Dann muss nicht den ganzen Tag über verhandelt werden, das nimmt beim Kind und bei dir Stress raus. Anders ausgedrückt: je mehr freestyle ihr fahren wollt, desto mehr Klarheit braucht es in der Begleitung. Pick your battles.
7. Auf die Balance kommt es an.
Also dass dein Kind in seinem Alltag ausgiebig aus allen Töpfen naschen darf, die es für seine Entwicklung braucht – eigenständiges Spiel und Entdecken, draußen sein, Bewegung, das Miteinander, eben das ganze Programm.
Und diese Balance, das merken Eltern oft schnell (aber in meinen Augen manchmal auch zu spät), ist gar nicht so leicht zu halten, denn: Bildschirme haben eine Superpower. Sie ziehen den Alltag schnell aus der Balance. Die Kinder selbst können das nicht steuern (viele Erwachsene auch nicht). Sie brauchen gute Begleitung und viel „Herz und Klarheit“. Gerade bei den Bildschirmmedien könnt ihr das immer wieder einüben. Eine Chance!
8. Auf die Beziehungen kommt es an.
Natürlich. Immer. Manchmal wird das dann so gewendet: Solange es mit der Eltern-Kind-Beziehung stimmt, können die Kinder Medien konsumieren bis die Kühe heimkommen. Das ist Bindungskitsch. Ich kenne genug „sicher gebundene“ Kinder, deren Entwicklung durch zu starken Medienkonsum leidet. Manchmal sogar entgleist. Lass dich nicht veräppeln, auch wenn das angebliche Medien-Bullerbü noch so schön ausgeleuchtet wird.
9. Und ja, natürlich:
Auf die richtige Dosis kommt es an.
Wie so oft. Wer zu lange in der Badewanne sitzt, dem wellt sich die Haut. Bei den Medien ist diese Dosis gar nicht so leicht zu finden. Was für *dein* Kind richtig ist? Das ergibt sich aus den Punkten 1 bis 8.
Auch die Medienfrage ist also ganz schön spannend und individuell. Und auch hier gilt das: Je simpler die Ratschläge sind, die du hörst, desto häufiger sind sie falsch.
Alles Gute!
Wolf
Wir persönlich haben-auch für uns- die Regel: Fernsehen nur am Wochenende, wenn krank oder in Ausnahmefällen. Am Wochenende sind wir eh meist unterwegs oder im Garten-dann ist auch kein Fernsehen. So dass wir uns bei 2-3 folgen Biene Maya oder Bobo im Monat befinden. Was dafür viel läuft: Hörspiele. Gerade auf Auto Fahrten oder wenn wir mal nach der Kita nicht im Wald/Spielplatz sind, sondern nach Hause gehen und es erstmal einen Vesper Teller gibt. Der Alltag ist bei uns einfach mit so viel miteinander oder selbständigem Spiel gefüllt, dass gar keine Zeit zum fernsehen ist 😅 bei Freunden gibt’s täglich fernsehen. Da ist es schon soweit, dass selbst wenn Freunde zum spielen da sind, fernsehen eingefordert wird, statt zu spielen (dann natürlich gleich Filme wie buzz lightyear und co die ich persönlich nicht geeignet für 3-4 jährige finde). Das ist dann der Moment, wo ich sage wir gehen jetzt und gehen lieber noch auf den Spielplatz oder je nach energielevel heim und spielen gemeinschaftsspiele oder basteln was.
Nachbarskinder spielen nach der Kita im Hof nie mit-weil sie da Fernsehen.
Ich denke, wenn man ab und zu zusammen was anschaut, dabei aufm Sofa kuschelt, ist das auch ein schönes Miteinander. Wenn dafür aber „das Leben“ leidet, soziale Aktivitäten und co eingeschränkt werden, muss man sich Gedanken machen.
Eine Kollegin, nicht pädiatrisch
Hallo Wolf, das finde ich super, wie Ihr das handhabt. Bei uns ist das Äquivalent 2-3 Folgen Sendung mit der Maus, aktuell ISS mit Alexander Gerst, wobei wir zuschauen, mit kommentieren (weil die beiden Mädels sich grade sehr für Raketen und Weltraum, Fluggeräte etc interessieren, wir haben dann auch solche gebastelt, etc).
Auch wir entdecken es, dass die digitalen Endgeräte die 6 und 7 jährigen Kinder von Freunden derart einsaugen, dass sie auf die echte Interaktion gar keine Lust mehr hatten. Das ist echt traurig! Und bei den älteren Kindern verschlingen Gaming, Tablet, social media etc. dann alle anderen Hobbys.
Wir haben aber auch tolle Vorbilder, bei denen es gelungen ist, dass Teenager selbst einen gesunde Minimaldosis für sich finden und sich zB bewusst gegen Whatsapp entscheiden. Und viele andere tolle Eltern, die sehr viele analoge Erlebnisse schaffen. Aber das braucht Zeeeiiiiiit, Energie, Beziehungsarbeit und wird gesellschaftlich so gar nicht gesehen, oder wertgeschätzt! Ein Beispiel: Wenn sich das Kind nicht wickeln lassen möchte, kann man ihm ein Endgerät in die Hand geben. Man kann (mit Zeit, Energie und Muße) sich jedoch auch damit beschäftigen, was das bedeutet, andere Wickeltechniken, zB im Stehen, versuchen oder vielleicht gar auf Windelfrei umsteigen (das funktionert übrigens, btw). Und so geht es mit etlichem anderem auch.
Wie bequem dagegen der “shortcut”, der Griff zum Handy/Tablet!
Das wirkt fast wie eine Narkose, so schnell sind sie dann “ausgeschaltet”. Das kann im Alltag natürlich sehr hilfreich sein und ich kann absolut nachvollziehen, wenn man dazu greift, bevor man als Eltern dekompensiert. Ich finde es eher ein Armutszeugnis für die Gesellschaft, btw…
Es war frappierend, wie anspruchsvoll es war, sich mit Baby weitest möglich zu re-analogisieren und auch die eigene Medienzeit maximal zu drücken. Denn wenn ich ins Handy schaue, bin ich für das Kind einfach “weg” – viel weiter weg, als wenn ich in Buch, Zeitung oder ein Bastelprojekt schaue.
Alles soll man heute digital erledigen, damit es angeblich einfacher wird…! (Im Moment bin ich im Bereitschaftsdienst, da geht sowas 😉 )
Man muss sagen, wir haben wirklich viel “Lebensrückenwind” und ein tolles Umfeld, daher fiel es uns relativ leicht, mit den Kindern viele andere Beschäftigungen zu etablieren. Bei Wartephasen finden unsere Kinder Stift und Papier spannend genug, oder gar etwas zum Handarbeiten oder Schnitzen, wir haben was zum Vorlesen einstecken oder ein Kartenspiel. Und, vor allem: Im Alltag haben wir den Luxus gemeinsamer Zeit und Energie zum Rausgehen, zum Vorlesen, zum Basteln. Genügend echte Erlebnisse schaffen. Aber wenn beide Eltern nach dem Arbeiten total geschafft sind und in einer engen Wohnung leben, dann ist der Griff zu Medien nur allzu bequem und allzu nachvollziehbar und da bin ich die Letzte, die den belasteten Eltern die Schuld gibt. Aber ich finde es eine Schande, dass diese einfach im Regen stehen gelassen werden bzw. das der Weg ist, zu dem man gesellschaftlich quasi fast schon gedrängt wird.
Lisa
Ich finde euer Vorgehen nachvollziehbar und wir handhaben es ganz ähnlich, allerdings klingt da für mich gerade sehr viel Abwertung anderen Herangehensweisen gegenüber mit. Sowas finde ich unnötig und bringt noch mehr Stress und Selbstvorwürfe in Elternschaft, die ohnehin nicht immer einfach ist.
Welli
Ich muss mich gerade spontan anschließen, das Leben fühlt sich so viel erfüllter an. Danke!
Jann
Wir handhaben die Medienzeit so, wie süße Getränke, Süßkram, Fastfood und anderes auch: Es gibt sie, aber begrenzt. Zunächst ist Medienzeit bei uns alles. Also Handy, Tablett, TV, Konsole,… Egal was genutzt wird, ist Medienzeit. Medien werden bewusst konsumiert, nicht mal eben schnell nebenher oder zur Ruhigstellung. Es gibt eine vorgegebene Zeit. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass die Kinder Medien konsumieren dürfen, aber gemeinsam ein Wecker gestellt wird. Wenn der klingelt, ist Schluss. Entscheidend ist auch, dass echte Leben als Alternative anzubieten. Also draußen sein, gemeinsam kochen, gemeinsam spielen. Aber eben auch akzeptieren, dass Kinder auch mal das Bedürfnis haben, sich berieseln zu lassen. Wenn sie mal zu gar nichts Lust haben, überhaupt keine Freunde Zeit haben, es seit Tagen nur regnet usw. Medienzeit kann auch als Event inszeniert werden: die Familie schaut gemeinsam oder spielt gemeinsam mit der Konsole, dazu gibt es was Leckeres wie einen bunten Obstteller oder auch mal ein paar Gummibärchen. Natürlich kommt es auch darauf an, was konsumiert wird. Es gibt Sendungen, die sind in den Farben, den Tönen und der Geschichte eher zurückhaltend. Dann gibt es eben die, mit vielen Reizen. Kinder werden nicht krank, wenn sie mal Pommes mit Ketchup essen oder herzhaft in einen Schokoweihnachtsmann beißen. Und nicht doof, wenn sie Medien konsumieren. Aber es muss genug Alternativen geben, sodass diese Dinge gar nicht so furchtbar wichtig sind oder werden. So gibt es auch am wenigsten Streit. Meiner Meinung nach kommt es bei allem auch darauf an, den Kindern einen gesunden Umgang mit all den “Verführungen” des Alltags zu vermitteln wenn sie in einem Alter sind, in dem sie nicht mehr davon abhängig sind, dass die Eltern ja sagen. Wenn Pommes völlig verpönt sind, wird ein Kind vielleicht viel mehr danach geiern und sie sich unterwegs beschaffen als wenn man sagt: Klar, gibt es. Aber eben nur manchmal.