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Beratungsfrage

Wie sage ich einem 19-Monate alten Kind Nein?

Spannende Frage – so kurz sie ist, so viel Wissen setzt sie voraus.

  • Dein Kind kann den rationalen Grund für dein Nein noch nicht nachvollziehen. Und das wird noch lange so sein. Es braucht dafür nämlich ein Grundverständnis der Welt und des Miteinanders (warum darf ich mit dreckigen Schuhen nicht auf den Sitz in der U-Bahn klettern? Warum muss ich jetzt ins Bett, wo ich doch spielen will?). Dieses Grundverständnis entwickelt sich in der mittleren Kindheit (so 3 bis 10, je nach Thema…). Ab da werden die Kinder langsam „verständig“.
  • Dein Kind kann auch deine Gefühle noch nicht nachvollziehen. Etwa, warum du vielleicht zornig bist (Vase zerbrochen), panisch reagierst (Fummelei an der Steckdose) oder dir selber Stress machst (“dieses Kind testet Grenzen aus – ich muss dagegenhalten!”). Einfach, weil es noch nicht in deinen Kopf hineinblicken kann!

    Die Kleinen üben diese Perspektivübernahme ab etwa drei, vier Jahren – beim Spielen etwa! Und sie werden darin von Jahr zu Jahr besser! Die hohe Schule dieses Projekts schaffen sie dann im späten Grundschulalter – jetzt erst verstehen sie etwa komplexe Ironie. Und jetzt kannst Du mit ihnen wunderbar diskutieren!

  • Dass dein Kind mit Protest reagiert, wenn du es etwas nicht machen lässt, ist absolut normal und erwartbar. Es versteht ja den Sinn deiner Handlung noch nicht! Natürlich ist es enttäuscht. Oder frustriert. Oder durcheinander (auf dem Sofa zuhause darf ich rumturnen und Papa freut sich, und hier in der U-Bahn auf einmal nicht!).

    Rechne bei einem Nein also gerne mit Tränen, Wut und Distanz!

  • Heißt das, dass du dein Kind nicht begrenzen sollst? Unsinn. Damit das Zusammenleben gut klappt, braucht es manchmal ein Ja und manchmal ein Nein: Mattis, Du darfst auf den Sitz steigen, wir ziehen aber vorher die Schuhe aus. Paula, Du darfst den Schnuller zum Einschlafen gerne haben, zum Spielen brauchst du ihn nicht. Kurz: Wir geben Orientierung.
  • Wie kann ich meinem Kind jetzt helfen? Ganz sicher nicht, indem du jetzt selbst noch Stress machst! Also selbst mit Frust, Zorn oder Angst reagierst. Denn dadurch verliert dein Kind seinen Halt: Huch, die Welt, in der ich lebe, ist unberechenbar! Nicht stimmig! Meine Eltern sind manchmal so und manchmal so – auf sie ist kein Verlass! Wenn ich nur mal auf ein Sitzpolster steigen will um besser rausgucken zu können, ist auf einmal Alarm!

    Offenbar können plötzlich die Tiger in unser Lager einbrechen, Hilfe!

    Es ist unglaublich wichtig, dass wir das verstehen. Kleine Kinder brauchen das Gefühl, dass sie mit Menschen leben, die die Tiger fernhalten. Und das soll gelten, wenn Eltern Ja sagen, und das soll gelten, wenn sie Nein sagen. Sie sagen das Nein ja aus einem guten Grund. Lass das dein Kind spüren und an deinem Gesicht sehen: Alles gut, so leben wir, das wird prima!

  • Und du hilfst deinem Kind ganz sicher auch nicht, indem du jetzt zu texten beginnst. Also erklärst, warum es das oder jenes nicht darf, dass es das doch bitte verstehen soll, die ganze Litanei. Vergiss es – dein Kind versteht das noch nicht, Punkt (siehe Punkt 1 und 2). Es versteht noch nicht, dass Kerzen am Geburtstag ausgepustet werden, die Adventskerze aber nicht.
  • Und wie ist das mit dem Trösten? Sollen wir dem mit einem Nein konfrontierten Kind jetzt nicht seinen Frust „spiegeln“? Ihm „Worte geben“ für seine Gefühle? Das wird häufig vorgeschlagen. Wir sollten aber Maß und Ziel kennen. Und bei einem Nein das widerspiegeln: Du, es ist nicht schlimm, dass du das oder jenes nicht darfst! Nichts ist passiert, ich will nur nicht, dass du die Kerze auspustest. So wenig die Kinder jetzt Wort-Arien brauchen, so wenig brauchen sie jetzt das große Gefühls-Drama. Das kann nämlich auch signalisieren: Da ist was echt Schlimmes passiert! Ich armes Kind, dass ich auch so eine Katastrophe erleben muss, wo sogar meine Eltern hammermäßig leiden! Wir Eltern dürfen gerne MIT dem Kind empfinden, aber wir müssen nicht gleich IN unserem Kind sein.

Das Wunderbare ist: dein Kind wird lernen.

Denn du behandelst es auch in deinem Nein auf eine sichernde Art. Du bist nachvollziehbar, durch dein Sein und Handeln. – Etwa wenn du dein Kind in der U-Bahn zu dir auf den Schoß nimmst. Ihm die Schuhe ausziehst, und ihm mit deinem Gesicht, deiner inneren Haltung und deiner Stimme zeigst: Das ist jetzt der richtige Weg, so macht man das hier. Du mein Kind musst das nicht verstehen, aber: es ist kein Ding. Mir aber wichtig. Nicola Schmidt für diese Haltung das schöne Wort des „Ja-Neins“ geprägt (Danke, Nic!) – wir signalisieren ein Nein in einer bejahenden Haltung. Ein bejahendes Nein, sozusagen.

Also: kurze Frage, lange Antwort…

Ich habe in meinem neuen Buch viele Beispiele dafür, wie wir das gut schaffen können mit dem Nein. Ich will es dir aus ganzem Herzen empfehlen. Du kannst es jetzt schon vorbestellen.
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2 Kommentare

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  • Jale

    JA! Zu wissen, wie viel Kinder in dem Alter noch nicht “können können”, ist sooo wichtig!
    Etliches kann man auch vorher entschärfen, Stichwort: Ja–Umgebung schaffen (zur eigenen Stressentlastung..). Ein “da müssen sie doch aber durch, damit sie es lernen!!” ist in diesem Alter einfach aussichtslos und für Kinder nur undurchschaubares Strafen. zB Schuhe und ÖPNV : Ausziehen, im Zug zB Schläppchen dabei haben (wie schon von HRP genannt).
    Adventskerzen… hm, ich glaube, bei 19-Mon Kind hatten wir noch keine. Vasen: In dem Alter ebenfalls nicht auf dem Tisch. (Keine Sorge, kommt später alles wieder.)
    WIr haben uns analog zu “Kinder verstehen” häufig gefragt, ob halt die Umgebung einfach für die Kinde zu “unsteinzeitlich” ist. Im Stuhl sitzenbleiben? Jede Menge Spielzeug verräumen? Viele Fixtermine? Flugreisen? Spazieren neben Autoverkehr? U3 un mit ähnlich altrigen Kindern, den mutmaßlichen Nahrungs- und Zuwendungskonkurrenten streitarm zurechtkommen? Kein Wunder, wenn das schwerfällt!
    Restaurant zB oder ähnliche Situationen mutmaßlicher sozialer Kontrolle: Fürs Elternheil in dem Alter eher nicht zu empfehlen, aber keine Sorge, das kommt wenn gewünscht auch schnell wieder 😉
    Aber nochmal ein Wort zum “Spiegeln und Validieren”, wie hier angerissen und ausführlich zB bei “Gewünschtestes Wunschkind aller Zeiten” erklärt. Wir fanden das stimmig für uns, und es hat uns davor bewahrt, dass ein Wutanfall in der Autonomiephase entgültig massiv eskaliert und in einer allseitigen Kreislaufbelastung endet. Es half, präsent zu sein und das Kind, auch bei Wut, nicht allein zu lassen oder ihm das Gefühl zu geben, dass Wut ein ungewünschtes Gefühl sei, nicht legitim und von den Eltern durch Präsenz-/Bindungsentzug bestraft würde.
    Wir sind dabei so vorgegangen:
    Den mutmaßlichen Grund des Wütens selber in einfachen Worten und laut genug benennen “JAA! Hund WEG!! Oh WEH !!” oder eben “KEIN Lutscher jetzt ! DOOF!! ” und aber natürlich sich eben, wie genannt, nicht selber in die Emotion begeben sondern seiner eigenen Haltung klar sein (es gibt KEINEN Lutscher, wir können dem Hund NICHT hinterherlaufen). Sondern dabeibleiben, zuwarten, die Tröstschulter sein, und dann kommt irgendwann ein trauriges “jaaa…” und es kriecht einem ein tränennasses Kind in den Arm… (leider hat man dabei keinen ganzen hilfreichen Stamm für mehr “good cop, bad cop”, das wäre noch besser).
    Oder auch, ich fand es gut bei wie auch immer geartetem Unmut, eine Emotion des Kindes zu benennen, “Oh, oh, große Enttäuschung” – “Du bist jetzt ärgerlich, ganz ärgerlich”
    dann lernen die Kinder irgendwann sich selbst zu lesen und ihre Emotionen zu benennen. Können viele Erwachsene allerdings auch nicht 😉
    Es klingt jedenfalls sehr stimmig für mich in der Antwort von HRP, wir freuen uns schon sehr auf das Buch, und darauf, auch in diesem Bereich ein Referenzwerk zu haben (aus etlichen anderen Büchern habe ich zwar auch einiges mitgenommen, aber jeweils auch immer etwas gewichtet für mich. HRP und seinen Ratschlägen vertraue ich aber jeweils, glaube ich, stets am meisten 😀 )

  • Anita Cornelius

    Einzigartig auf den Punkt gebracht – und damit in dieser Kürze so hilfreich für viele Eltern, nehm es so in meine eigene kinderärztliche Sprechstunde, wo ich dann noch begleitend mit den Eltern daran arbeite (sofern gewünscht!!) – warum halte ich selbst als Eltern das Neinsagen so schlecht aus – und da tauchen meistens uralte familiär gesellschaftlich geprägte Grundhaltungen auf!! Danke Herbert, Du bist eine Inspiration Anita Cornelius (Kinderärztin EEH Fachberaterin Schweiz)