Beratungsfrage21. Mai 2024

Wie kann ich mich auf ein weiteres Kind vorbereiten?

Ich habe Ihre Bücher im Studium schon sehr geschätzt und würde mich jetzt, schwanger mit dem zweiten Kind, gern auf die Geschwisterbeziehung und den Start vorbereiten.
Es geht um einen etwas kleineren Altersabstand von ca. 2 Jahren.
Vielen Dank im Voraus!

Ach, da wären 1000 Sachen dazu zu sagen, lass mich hier mal ein „Geschwister-Paket“ schnüren, das Du immer mal wieder aufpacken und bedenken kannst…

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Grundsätzlich fällt mir auf, dass das Thema Geschwister oft von der Konflikt-Seite her gedacht und erlebt wird. Es geht oft darum, wo die Kinder sich vielleicht Schatten geben, Konkurrenten sind, und und und… Aber dass sie sich auch viel Licht geben können? Sich gegenseitig anspornen? Dass sie selbst beim Streiten etwas lernen? Ich finde Du darfst bei deinem Blick in die Zukunft unbedingt die Licht-Seite in den Vordergrund rücken. Halt wie generell in der Familie: Ja, mit Konflikten ist zu rechnen – aber wir sind auch eine Entwicklungsgemeinschaft, die macht uns aus. Und das gilt jetzt auch für die beiden Kinder: sie werden Konflikte haben, ist doch klar. Sie konkurrieren schließlich manchmal auch um ein begrenztes Angebot. Aber sie sitzen auch gemeinsam in einem „Entwicklungsboot“. Und auf was kommt es im Leben an? Genau: Auf die Entwicklung. Konflikte sind tatsächlich nur die Dornen an den Rosen: lästig – aber wie toll die Rosen sind!

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Du musst Geschwisterbeziehungen deshalb konsequent andersherum denken, von der Blüte her. Das wird Dich und die Kinder stärken. Streiten die Kinder, denke an die Blüte: Wie wunderbar, dass ihr euch habt! Tränen, Stress und Lärm hin und her. Dieses Gegengewicht lässt Dir das von mir gerne beschriebene und für den Alltag so wichtige „Elternfell“ wachsen.

Damit die Beziehung deiner Kinder einen guten Rahmen hat, darfst Du Dich auch von Anfang an in dem beüben, was ich „No-Nonsense“-Position nenne. Wo zwischen den Geschwistern Unfug passiert, Bosheit oder gar Gewalt, beziehst Du mit Herz und Klarheit Position : WIR SIND EINE FAMILIE, UND SO GEHEN WIR NICHT MITEINANDER UM. (Ich vermisse diese Haltung in manchen Familien: Nonsense ist Nonsense, und es ist dein Job das den Kindern zu sagen, weil sie Sinn und Unsinn nur dadurch unterscheiden lernen).

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Aber jetzt zur Frage, wie Ihr von Anfang an für die Entwicklung einer guten Beziehung sorgen könnt. Da will ich Dich als erstes einladen, dass du manche der gängigen Tipps und Erzählungen hinterfrägst. Nicht weil sie falsch sind – aber weil sie aus meiner Sicht oft missverstanden werden.

Wenn ein Geschwisterkind geboren wird, dann erlebe ich z.B. oft eine große Angst: Bestimmt wird jetzt mein erstgeborenes Kind geschmälert, verletzt oder gar traumatisiert! Ich erlebe dann manchmal, dass sich Eltern regelrecht schuldig fühlen und das Gefühl haben, sie würden ihr Kind aus einer für das Kind sehr wichtigen Position verdrängen. Das stimmt und stimmt nicht. Natürlich bedeutet die Geburt jetzt einen Übergang für Dein Kind, und klar braucht er da Deine Unterstützung (Du weißt ja, auch wenn dein erstgeborenes Kind jetzt ZWEI GANZE JAHRE älter ist als dein neues Baby, bleibt er dennoch: zwei 😉 – und braucht damit von Dir/Euch ganz viel Hilfe, Verständnis, eben das ganz große Elternherz).

Und trotzdem stimmt auch das: Dieser Übergang ist gleichzeitig ein Entwicklungsanreiz, eine Chance. Seht deshalb auch hier gerne das Positive: ja, Dein älteres Kind verliert etwas – aber es gewinnt auch viel dazu!       Das oft zu hörende Narrativ von der „Entthronung“ darfst Du deshalb gerne ergänzen: Es ist für dein älteres Kind etwas Zauberhaftes, ein Baby in der Familie zu haben! Für Dich auch. Teilt das miteinander statt Angst zu haben. (Mein Enkelkind erzählt in der Kita, wenn die anderen Kinder auftrumpfen, dass sie schneller rennen können als sie: „aber ich habe einen Baby-Bruder zuhause“!)

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Ich bin deshalb übrigens auch nicht so glücklich über das oft verwendete Gleichnis, in dem die Geburt eines Geschwisterkinds damit verglichen wird, dass ein Vater auf einmal eine fremde Frau mit nach Hause bringt und seiner Ehefrau verkündet: Diese nette Frau lebt übrigens jetzt für immer bei uns! Wer würde da nicht gleich sagen: Oh wie schrecklich! Das arme Kind! Und vor allem: Das MUSS ja schief gehen! Und das wäre einfach: schade. Denn wirklich: ein Geschwister-Baby zu bekommen ist – keine Katastrophe.

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Auch eine andere Erzählung würde ich hinterfragen oder zumindest mit Blick auf Dein Kind klären: „Du musst jetzt ganz viel mit dem älteren Kind ALLEINE machen, damit es spürt, dass es weiter geliebt wird und so weiter.“ Du musst das natürlich selber herauskriegen, aber ich will trotzdem ergänzen: Viele ältere Kinder kommen mit dem Bindungsübergang auch gut zurecht, wenn sie bei den neuen Abläufen einfach dabei sein können und dabei spüren: alles gut hier, ich bin weiterhin geschätzt und geliebt!

Genau deshalb haben es jetzt übrigens viele ältere Kinder mit der Krippe wieder schwer, und ich glaube das ist auch gut nachvollziehbar: Zuhause passiert jetzt so viel, auch vieles, auf das man schon neidisch sein darf! Und man selber muss morgens in die Krippe losziehen und seine Mama mit Baby zurücklassen. Hier sollten wir sensibel sein: vielleicht profitieren Geschwisterkinder ja auch von „Geschwister-Monaten“ zuhause, so wie die Väter von Väter-Monaten profitieren (würden)?

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Gut finde ich das Gleichnis von der Zweitfrau übrigens in einer anderen Hinsicht – nämlich mit Blick auf die Frage: Wodurch wachsen Geschwister eigentlich zusammen? Denn überlegen wir uns einmal: Wie könnte in diesem Beispiel aus der neuen Beziehungskiste jetzt ein neues Wir entstehen? Also ein Gefühl von Familie, zu der jetzt eben auch mein Geschwisterkind gehört? Wird das dadurch entstehen, dass Ihr jetzt möglichst viele 1:1-Beziehungen gestaltet? Du Dich als Mutter zwischen dem älteren Kind und dem jüngeren aufteilst? Ich glaube, ein Gefühl von Zusammengehören wird eher durch das entstehen, was Ihr als Familie gemeinsam macht. Durch eine gemeinsame Reise sozusagen, bei der Ihr gute Erfahrungen macht, Euch beschnuppern könnt und feststellt: alles gut, das gute Leben geht ja auch mit einem jüngeren Geschwister weiter, läuft…

Gut, das sind jetzt wirklich nur Anregungen, denn das Schöne ist ja, dass Dein Kind Dir da auch zeigen wird, was es braucht, was es „einschließt“ und was es „ausschließt“, ob es sich schnell als Geschwister fühlt oder langsam. Aber egal wie der Weg sein wird: Schau positiv auf diesen Wechsel, diese neue Reise!

"Mit Herz und Klarheit – Wie Erziehung heute gelingt und was eine gute Kindheit ausmacht" ist soeben erschienen. Dieses Buch ist ein Wegweiser für eine erfüllende und gelingende bedürfnisorientierte Familienzeit.
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4 Kommentare

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  • Johanna

    Von Herzen 1.000 Dank für diesen ermutigenden Artikel. Und für so viele weitere wertvolle Artikel auch.

    Unser Sohn ist bereits 4, aber wir möchten gerne ein zweites Kind. Ich habe auch viele Bedenken und Sorgen, eben weil unser Sohn uns nun schon so lange als eingeschweißtes Dreierteam kennt und liebt.

  • Maja

    Geschwisterkonstellationen sind immer so spannend.
    Unsere sind 3,5 Jahre auseinander. Es gibt so viele Bücher über Geschwister und Babys, die wir während der Schwangerschaft zusammen gelesen haben. Das coolste ist für den Großen, so scheint mir, dass er jetzt zum “Club der großen Geschwister” in der Kita gehört.
    Obwohl wir es ihm angeboten haben, wollte er täglich in die Kita, noch nicht einmal früher abgeholt werden. Wir haben seinen Wunsch da voll respektiert und stattdessen genossen, mit dem Kleinen anzukommen.
    Der Papa hat sich die ersten zwei Monate voll um den Großen bei uns gekümmert, sodass ich im Wochenbett eine gute Erholung genießen kann und auch wenn ich jetzt wieder mehr Kraft habe, übernimmt der Papa die Hauptverantwortung. Und ein wirklich schöner Nebeneffekt: die beiden haben sich noch einmal stärker aneinander gebunden, sind näher gerückt (Was Zeithaben so alles bewirkt, Stichwort Elternzeit ❤️)

    Ich habe nicht einen Moment das Gefühl, dass es jetzt schlecht für den Großen sei, weniger Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich sehe tatsächlich, dass er sich unglaublich entwickelt, neue Eigenschaften hinzukommen und Fähigkeiten reifen (geduldiger warten zu müssen, denn nicht immer können wir direkt auf ihn eingehen oder auch Verantwortung zu übernehmen und mal ganz kurz auf das Baby aufzupassen während ich etwas wegräume oder auf Toilette gehe). Und Aufmerksamkeit ist ja auch so eine Sache. Natürlich spiele ich mit dem Großen, höre zu, begleite. Und gleichzeitig bin ich jetzt viel weniger Servicepersonal 😉 Das finde ich auch sehr gut.

  • Jale

    Vielen, vielen Dank für den schönen Artikel, genau die Punkte, die HRP benennt, sind mir in anderer Literatur auch ein bisschen aufgestoßen – dass man dem älteren Geschwister quasi was ganz Fieses antut, wenn ein jüngeres dazukommt – klar, ein Übergang, aber es bringt auch nichts, wenn die Eltern vor schlechtem Gewissen zergehen und es dem älteren dann überkompensieren wollen. Zum anderen ist das mit der geforderten Exklusivzeit fürs Ältere durch die Mutter auch sowas gewesen, wo ich dachte, das krieg ich nicht hin, solang das Kleine noch so winzig ist. Wobei, vorlesen fürs Große, während das Kleine stillt oder schläft, zählt ja auch dazu, oder 😉 Zum Glück hat der Papa hier ganz viel fürs Große getan in der Zeit. (Insgesamt ist es natürlich aber trotzdem gut, wenn das Ältere aufgefangen wird und nicht auf einmal nur funktionieren muss, das trifft man wahrscheinlich noch viel häufiger an.) Vielen Dank für die positive Einordnung!

  • Sonja

    Ich kann mich den wertvollen Worten von ihnen nur anschließen.
    Ich sehe Geschwister als große Bereicherung fürs ganze Leben. An die “negativen” Seiten der Eifersucht, Konkurrenz etc in Kleinkindzeiten wird sich das älter werdende Kind vermutlich irgendwann kaum mehr erinnern können. Und / oder in seiner Reifung diesem Gefühl eine andere Wertung geben.
    Ich durfte mit 2 Geschwistern aufwachsen und bemitleidete immer die armen Einzelkinder, die niemanden zum Spielen zuhause haben (wie öde ist ein allein benutztes Planschbecken, etc.).
    Meine 3 sind je 2 Jahre auseinander, aus meiner Sicht ein sehr guter Abstand, da sie nah genug sind, um an den gleichen Dingen Spaß zu haben und weit genug, um Verantwortung übernehmen zu können. (Natürlich müssen die Eltern auch mutig genug sein, Verantwortung zu übertragen). Es tut mir nun etwas leid um den Jüngsten, der nicht in den Genuß kommt stolz sein allerliebstes Baby beschützen und umsorgen zu dürfen. Er muss nun andere Wege finden, um aus der Rolle des “Kleinen” rauszukommen. Aber auch da sind die Geschwister eine große Hilfe, denn ich erziehe ihn nicht alleine. Die beiden Größeren sind von Anfang an meine Stellvertreter (passen auf, wenn ich dusche, bespaßen, wenn ich koche, und übernehmen die Abendroutine, wenn ich krank bin). Es ist immer wieder erstaunlich, wie aus einer nörgelnden 6 Jährigen nach einem anstrengenden Schultag plötzlich eine kompetente “Erwachsene” wird, wenn ich ihr, aus echtem Bedarf heraus, die Verantwortung für die Geschwister übertrage.
    Und es wirkt wahrscheinlich für den Jüngsten viel glaubhafter, dass er nun “groß” werden muss, wenn die 4 Jährige sagt: “Du bist nun fast so groß wie ich, du brauchst keine Windeln mehr!”, als wenn nur ich das sage.
    Natürlich streiten sie auch ständig und unser zuhause ist immer irgendwie laut, aber wie einsam wäre es leise. Und wie wertvoll ist es im geschützten Rahmen streiten und versöhnen lernen zu dürfen, denn die Geschwister sind nicht nachtragend und lassen einander viele Fehler durchgehen, um wieder zum gemeinsamen Spiel zurückkehren zu können.
    Eine kleine Empfehlung noch für die Vorbereitung auf Geschwister bei etwas mehr Alterabstand: das Kinderbuch “Die Tage bevor Jaron kam”