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Heikle Esser â Hilfe mein Kind isst nur Nudeln!
Weil die Fragen rund ums Essen so hĂ€ufig sind, behandle ich diesmal gleich zwei FĂ€lle â auch weil wir dadurch einiges besser klar kriegen werden đ
Fall 1
Unsere Elvira ist jetzt 3, und sie isst im Grunde kein GemĂŒse â dabei hat sie das als SĂ€ugling immer gemocht! Es ging im zweiten Lebensjahr los, da wollte sie immer öfter Nudeln nur noch ohne SoĂe. Insbesondere GemĂŒse legt sie seither auf die Goldwaage, das meiste an FrĂŒchten auch. Wir sorgen uns um ihre Gesundheit, laut Kinderarzt gibt es aber nichts zu klagen. Auch ist sie ein echter Wirbelwind, mit viel Energie.
Fall 2
Mein Sohn Elvis ist 8 Jahre alt. Er ekelt sich seit ca. drei Jahren immer mehr vor Essen bzw. Nahrungsmitteln, hauptsĂ€chlich vor Obst und GemĂŒse in Hinblick auf Farbe, Konsistenz, Geschmack, Zubereitung, Geruch. Wir hatten gehofft, dass es nur eine Phase ist, aber es wird immer schlimmer, und er nimmt immer mehr an Gewicht ab, so dass wir dringend Hilfe benötigen. Zudem nĂ€sst Elvis noch immer ein, auch tagsĂŒber.
Zwei âEssensfragenâ â mit sehr unterschiedlichen Antworten.
Praktisch alle kleinen Kinder gehen durch eine âheikleâ Essensphase â Elvira im ersten Fall ist ein geradezu klassisches Beispiel. Diese heikle Phase beginnt meist im zweiten Lebensjahr, kann extrem sein (0% GemĂŒse, kaum Obst), fĂŒhrt aber in aller Regel nicht zu Gewichts- und Wachstumsproblemen. (Und weil das zögerliche Essen den Eltern trotzdem den Schweiss auf die Stirn treibt, werde ich gleich noch mehr dazu sagen).
Der 8-jĂ€hrige Elvis aus unserem zweiten Fall fĂ€llt klar aus diesem ânormalenâ Muster heraus. Sein Problem hat erst mit 5 begonnen (da sehen viele Eltern der ânormalen GemĂŒseverweigererâ schon das erste Licht am Ende des Tunnels) â und wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Und: das Kind wird davon offenbar krank â es kommt zu einer krankhaften Gewichtsabnahme. Typisch auch, dass das Kind nur Nahrungsmittel mit einer ganz eng definierten sensorische Beschaffenheit akzeptiert â hier etwa Farbe, Geruch und Zubereitung – und diese Kriterien werden oft immer enger.
Hier sollte auf jeden Fall eine weitere Diagnostik erfolgen um insbesondere ein sog. ARFID auszuschlieĂen. ARFID steht fĂŒr âAvoidant and Restrictive Food Intake Disorderâ, zu deutsch âStörung mit Vermeidung oder EinschrĂ€nkung der Nahrungsaufnahmeâ und ist sehr selten. Es handelt sich im Grunde um eine neuropsychiatrische Entwicklungsstörung mit einer ausgeprĂ€gten sensorischen Ăberempfindlichkeit. Da können Nahrungsmittel schlichtweg nicht gegessen werden, wenn sie nicht eine bestimmte Ă€uĂere Erscheinung haben, einen bestimmten Geruch, Geschmack, Textur, Konsistenz, Farbe (oder Farbkombination), Zubereitung, ja, manchmal sogar auch eine bestimmte Temperatur. Oft liegen dabei gleichzeitig auch andere Entwicklungs-AuffĂ€lligkeiten vor, etwa Angst- und Zwangsstörungen, Lern- und Entwicklungsstörungen, ADHS oder Autismusspektrumsstörung. Die Behandlung ist komplex und bedarf der Begleitung duch Kinder- und Jugendpsychiater (neben der sichernden und wohlwollenden Begleitung durch die Eltern) đ
Und damit zurĂŒck zu Elvira. Auch hier machen sich die Eltern Sorgen um das Gewicht, allerdings kann hier glĂŒcklicherweise Entwarnung gegeben werden. Denn typisch ist hier das: sie bleiben gesund und munter. TatsĂ€chlich ist das wĂ€hlerische Essverhalten des Kleinkindes (âpickyâ eating) nĂ€mlich ein ganz normales DurchgangsphĂ€nomen. Und zwar eines, das den Kindern evolutionĂ€r âeinprogrammiertâ ist, und zwar aus sehr positiven Grund: Die jetzt sehr vorsichtige Wahl der Nahrungsmittel soll die Kleinen bei dem frĂŒher sehr gefĂ€hrlichen Ăbergang vom âfremdbestimmtenâ Essen in der SĂ€uglingszeit zum âselbststimmtenâ Essen in der Kleinkindzeit schĂŒtzen! (Eine super spannende Geschichte ĂŒbrigens, die ich in meinem Buch âBorn to be wild!â schildere).
Dieses Schutzverhalten aktiviert sich recht verlĂ€sslich im zweiten Lebensjahr. Jetzt mĂŒssen die Kleinkinder ja zum ersten Mal selbst entscheiden, was da hinter die Zahnreihe rutschen darf und was nicht! Und diese Entscheidung treffen sie mit groĂer Vorsicht: Alles was neu ist, wird abgelehnt, ja, regelrecht mit Angst markiert (KinderĂ€rzte sprechen auch von âNeophobieâ). Und: Alles was irgendwie bitter schmeckt, fĂ€llt ebenfalls der neuen Vorsicht zum Opfer. (Wobei Kleinkinder jetzt eine viel höhere Empfindlichkeit fĂŒr Bitterstoffe entwickeln als Erwachsene – und zwar aus gutem Grund: Bitterstoffe stehen in der Natur nĂ€mlich fĂŒr âVorsicht, das könnte auch giftig seinâ. Und gerade kleine Kinder mit ihrem rasch wachsenden Gehirn und ihrer ungeĂŒbten Leber mĂŒssen da besonders vorsichtig sein!)
Das Gute aber ist: die Kinder haben auch ein Gegenprogramm: Sie lernen allmĂ€hlich, was vor Ort an sicheren Nahrungsquellen nutzbar ist. Sie lernen das, indem sie beobachten, âwas die anderen vor Ort so machenâ. Kurz, sie schauen, was ihre Bezugspersonen essen, und auch: wie es ihnen dabei geht. Das merken sie sich â und machen es dann irgendwann nach. Auf ihre vorsichtige Art eben. Herrscht Zwang und Druck am Tisch, dann speichern die Kinder ab: âdas mit diesen Brokkoli ist offenbar eine stressige Sache, die hier niemand gut tut, da lasse ich lieber die Finger vonâ. Viel leichter fĂ€llt das Lernen, wo die Stimmung gut ist und die Kinder ihrem eigenen Tempo folgen dĂŒrfen.
Ganz grob kann man sagen:
- die Kleinen mĂŒssen 8 bis 15 mal beobachten, dass ein bestimmtes Nahrungsmittel bei den ihnen vertrauten Menschen Anklang findet
- Druck, Zwang oder Sorgen blockieren den Erforschungtrieb
- Gute Stimmung, mitmachen dĂŒrfen und entspannt sein dagegen ermutigen.
Noch Fragen? Bestimmt. VerstĂ€ndlich, denn das Essen-Lernen ist ein super spannendes Abenteuer. Jedes Kind wird in eine andere Nahrungs-Umwelt geboren und muss sich selbst einen Reim daraus machen, was ihm wohl gut tut. Ich bespreche diesen âReimâ, und wie wir als Eltern am besten damit umgehen können, auf meinem Blog.
Und natĂŒrlich in meinem Buch âKinder verstehen â Born to be wild! Wie die Evolution unsere Kinder prĂ€gt“.
Monika K.
– Mir hatte einmal eine KinderĂ€rztin gesagt, ein neues Essen auftischen dauert 30 mal, sich daran zu gewöhnen.
– Ich bin Nachkriegskind und kann die heutigen Wohlstandsprobleme nur schwer verstehen. Damals hatte uns meine Mutter bei einem neuen Essen gesagt: Wenigstens einen Löffel probieren, ohne Druck, aber als Hilfe gesagt, sich daran gewöhnen zu können. DafĂŒr bin ich ihr heute noch dankbar, weil mir alles gut schmeckt.
Lena
es schmeckt Ihnen ja nicht alles gut, weil Sie alles probieren mĂŒssten.
das picky eating als Wohlstandsproblem zu bezeichnen, zeigt, dass Sie den Inhalt des Artikels nicht verstanden haben.
dass einem Menschen alles gut schmeckt ist keine Eigenschaft, die einen irgendwie besonders macht oder die erstrebenswert ist.
Monika K.
Schade, dass Sie meine Worte nicht verstehen. Es geht halt auch gegen die heutige Methode, dass Kinder schon alles selbst bestimmen und entscheiden sollen, dĂŒrfen, könnten. Das können sie aber nicht, bevor sie nicht wissen, wie es schmeckt, beim Anziehen, wie das Wetter ist, und andere Komponenten nicht ĂŒbersehen können. Eltern und Erwachsene können Vorbild sein, Orientierungshilfe, die Kinder behutsam fĂŒhren, so wie beim Fahrradfahren-Lernen: Vor der StraĂe bitte halten usw. Kinder sind noch lange keine Erwachsenen.
Monika K.
ErgĂ€nzung: FĂ€higkeiten machen Selbstbewusstsein, nicht ĂŒberfordernde Kleinkind-Entscheidungen. In kleinen Schritten zum Erfolg fĂŒhren, begleiten, altersgerecht.
Nika
Man kann ja debattieren. Ăber Erziehung, bzw. Nichterziehung, ĂŒber Grenzensetzen/Grenzenwahren. Und es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern lediglich eine gute Richtung.
Aber in diesem Beitrag geht es um heikle Esser und da gibt es eine ganz klare Antwort! Zumindest in Fall 1 heiĂt diese:
Kinder sind so! Von der Natur so gestrickt. Keiner hat etwas falsch gemacht, das Kind ist nicht kaputt und wird keine SchĂ€den davontragen. Also kein Problem und kein Grund dagegen anzukĂ€mpfen, nicht mit âiss deinen Teller auf!â, und auch nicht, scheinbar drucklos, mit âbitte probier doch wenigstens..â
Ich muss einen KĂ€nguruhoden auch nicht erst probieren, um zu wissen, dass ich ihn zu 1000% absolut nicht essen will!
Gewöhnung geht anders (s. Text).
Und nein, Kinder sind noch lange keine Erwachsenen. Und nicht jeder Erwachsene ist ein angesehener Kinderarzt und Wissenschaftler, der uns immer wieder aktuelle Forschungsergebnisse liefert und uns mit seinem fundierten, anthropologischen Wissen schon mehr als einmal beruhigen konnte. Vielen Dank dafĂŒr, HRP!
Zu behaupten, es sei ein Wohlstandsproblem (wessen Problem auch immer und warum auch immer Wohlstand, ich habe es leider auch nicht verstanden), ist schlichtweg KĂ€se und geht mir persönlich zu sehr in Richtung Trotz, Verwöhnung und Undankbar-Sein. Alles Vorurteile also, mit denen dieser Blog unermĂŒdlich versucht aufzurĂ€umen!