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Kommentar13. Februar 2019

Einschulung – der leidige “Stichtag”

WARUM Kinder in die Schule gehen, haben wir ja schon geklärt.

Nur: WANN sollen sie damit beginnen? Dass es diese Frage in sich hat, zeigen schon die dabei verwendeten Begriffe: “Stichtag”, “Soll-Kinder”, “Kann-Kinder”, “Zurückstellung”, und so weiter…

Zum “Stichtag” so viel: ab diesem Tag des Kalenderjahres muss ein Kind, das sein sechstes Lebensjahr vollendet, zum nächstmöglichen Datum in die Schule gehen – es sei denn, gravierende Gründe sprächen dagegen. Je nach Bundesland liegt dieser Stichtag zwischen dem 30. Juni und dem 30. September.

So ein “Stichtag” ist von vornherein schon ein bisschen unfair. Denn wenn die Forschung über die kindliche Entwicklung eines zeigt, dann das: wie UNTERSCHIEDLICH sich Kinder entwickeln! Das eine Kind lernt mit 10 Monaten laufen, das andere mit 20 Monaten – und die fußlahmen oder sonstwie behinderten Kinder sind da nicht einmal berücksichtigt! Und beim Sprechenlernen geht es weiter: manche Kinder sprechen mit 12 Monaten die ersten Wörter, andere beginnen damit erst mit 21 bis 33 Monaten. “Die Zeitspanne zwischen Frühentwicklern und Spätentwicklern beträgt also bis zu 21 Monate”, bringt es Remo Largo in seinem Buch Kinderjahre auf den Punkt. Prof. Largo hat sein Forscherleben damit verbracht, eben diese Individualtät der menschlichen Entwicklung zu dokumentieren. Seine Befunde lesen sich allesamt wie eine Antithese gegen jeden Normierungsversuch:

“So gibt es in einer ersten Klasse Kinder, deren rechnerisches Verständnis einem Entwicklungsstand von 5,5 bis 6,5 Jahren entspricht, während andere Kinder bereits ein Verständnis von 8- bis 8,5-Jährigen aufweisen. Die Lesefähigkeit ist ähnlich unterschiedlich entwickelt, was sich beim Schuleintritt folgendermaßen auswirkt: 1 bis 3 Kinder können bereits lesen, andere sind erst im Verlaufe des 2. Schuljahres soweit. Und dann gibt es noch die Frühentwickler, die mit dem Lesen schon in einem Alter zwischen 3 und 4 Jahren beginnen, und die Spätentwickler, die erst mit 9 Jahren oder noch später dazu in der Lage sind.”

Na prima. Und dabei sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern noch gar nicht speziell betrachtet – auch die sind riesig, nein, gigantisch: Mädchen sind in der mittleren Kindheit eher schneller dran – vor allem mit sprachlichen und sozialen Kompetenzen.

Schulreife nach dem Kalender?

Vor diesem Hintergrund wäre eines seltsam: wenn alle Kinder im gleichen Alter schulreif wären, oder?

Aber auch ein fixer “Stichtag” ist, so betrachtet, ein recht fragwürdiges Konstrukt. Eine Art Stechuhr, die vielleicht die Verwaltung dieser seltsamen Kinderschar leichter macht, aber eben nicht so richtig zur Individualität der Kinder passt.

Gut also, wenn es bei der Einschulung ein bisschen Spielraum gibt. Und den gibt es am ehesten , wenn der Stichtag früher angesetzt ist. Wird dieser Tag etwa auf den 30. Juni gelegt statt auf den 30. September, wie es heute in vielen Bundesländern üblich ist, können die Eltern immerhin für die im Juli, August und September geborenen Kinder entscheiden, ob diese in diesem Jahr oder ein Jahr später eingeschult werden sollen – aus dem Einschulungsstichtag wird so ein Einschulungskorridor.  Und der kann zum Beispiel dafür sorgen, dass gerade die Kinder, die vielleicht noch ein bisschen mehr Spiel- und Reifezeit brauchen, noch ein Jahr in den Kindergarten gehen können.  Und nicht vielleicht sogar schon mit 5 in der Schule sitzen müssen. Wie gesagt: für den Fall, dass sie dazu nach Auffassung der Eltern noch nicht bereit sind – die Möglichkeit einer früheren Einschulung besteht ja nach wie vor.

Eine solche “Korridorlösung” erweitert also in der Praxis eindeutig die Flexibilität der Eltern – und ihre Möglichkeit zur Rücksichtnahme auf den Entwicklungsstand des Kindes. Denn natürlich können Eltern theoretisch auch bei einem späteren Stichtag darauf pochen, dass ihre Kinder zurückgestellt werden, erfahrungsgemäß ist dies aber deutlich schwieriger, wenn der regelhafte Beginn der Schule auf eine frühere Einschulung zielt (schließlich liegt die Entscheidung dann bei Menschen, die das Kind nicht unbedingt aus erster Hand kennen, und schließlich sind dann auch nicht selten Sachzwänge und Systeminteressen am Werk).

Vorreiterland Bayern

Zuletzt haben die Eltern in Bayern einen solchen Korridor durchgesetzt – und damit den Trend zur immer früheren Einschulung rückgängig gemacht, der sich in den letzten Jahren durchgesetzt hat. Eine gute Idee also, wenn nun Eltern auch in anderen Bundesländern auf eine Verschiebung des Stichtags pochen – im Namen der kindlichen Individualität, und im Namen der elterlichen Freiheit. Und auch die Lernforschung gibt dem Korridor Rückendeckung (hier eine Zusammenfassung in der ZEIT).

Ich finde es deshalb gut, dass jetzt auch die Eltern in “meinem” Bundesland, Baden-Württemberg, den Stichtag zum Thema machen. Eltern haben genug Druck und genug Sachzwänge, wie wunderbar, wenn sie sich wenigstens einen kleinen Korridor von drei Monaten aufdehnen können!

Ich unterstütze deshalb die Petition “Stoppt die Früheinschulung in Baden-Württemberg” – hier geht es zu der Unterschriftenseite (unterschreiben können übrigens alle Bürger der Republik, sogar Minderjährige – auch mal was!).

12 Kommentare

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  • Julia Marschand

    Vielen Dank für Ihre Unterstützung ?
    Es wäre so toll, wenn wir in Ba-Wü etwas bewegen könnten und die Politiker und v.a. Frau Eisenmann einsehen, dass Kinder ihre Kindheit brauchen und eine Einschulung mit 6 Jahren früh genug ist.
    Sie, Herr Renz-Polster bringen uns dem nun ein großes Stück näher. Danke ?

  • Natalie Robinson

    Super Artikel! Trifft es auf den Punkt.

  • Katrin Göltenboth

    Ich danke Ihnen von Herzen für diesen Artikel und Ihre Unterstützung ♡

  • Karina

    Danke ❤❤❤

  • Julia Marschand

    Vielen Dank für ihre Unterstützung ?

  • Ute K.

    Ich hoffe wir bewegen mit der Petition in NRW auch etwas. Als Mutter erlebe ich es gerade am eigenen Leib, was es heißt sein Kind scheitern zu sehen, weil es zu unreif ist und es bricht mir das Herz. Als Erzieherin im sozialen Brennpunkt beobachte ich mit Schrecken, wie wenig Kompetenzen und Fertigkeiten heutzutage bereits bei 2 und 3 Jährigen altersentsprechend ausgebildet sind. Warum muss die Regierung unser höchstes Gut, unsere Kinder so als Versuchskaninchen benutzen? Stichtag 30.6. Dann 30.9. Zum Glück haben sie vom 31
    .12. Abgesehen. Dann 13 Jahre bis zum Abi. Dann 12 Jahre. Jetzt wieder 13. Schreiben nach Gehör. Katastrophe. Bitte hört auf damit. Wir werden doch eh alle Älter heutzutage. Warum muss man so an den Kids zerren. Lasst ihnen ihre Kindheit. Sie brauchen heutzutage mehr Zeit den je, weil viele gar nicht mehr altersentsprechend entwickelt sind. Ich kann mich bald vor Rückstellkindern und Inklusionsanträgen nicht mehr retten. Und für mein eigenes Kind, mit diagnostizierter ADHS ist das Schulsystem eine Qual. Er kann nicht seine Stärken zeigen. Sie sind unwichtig. Hauptsache er lernt die Schreibschrift, nach Lehrplan, und darf in der 4. Klasse eh wieder die Schrift nutzen die er möchte. Es gäb noch so vieles, was ich in Frage stelle. Bezüglich Sinn und Zweck. Danke

  • Silke Kosper

    Ich wusste noch gar nicht, dass Bayern schon so weit ist! Im Internet konnte ich jetzt auf die Schnelle nur den 30.September finden. Ich hoffe aber, dass Sie Recht behalten und die Eltern mehr Spielraum bekommen, wobei diese drei Monate ja nicht besonders viel sind, wenn man Largos Unterschiede berücksichtigt. Ich habe derzeit zwei Jungen in der Schule und wäre über sehr viel mehr Spielraum sehr froh gewesen. Denn hat man so einen oder sogar gleich zwei Spätentwickler, hat man es in der Schule nicht so leicht. Mir kommt vor, viele Lehrer und Schulleiter haben die Bücher vom Largo nie in der Hand gehabt. Ich freu mich aber schon, wenn meine Tochter in die Schule kommt, denn sie hat im Oktober Geburtstag und ist schon sehr weit, da wird das ganze dann ein Spaziergang…
    Danke jedenfalls für alle Ihre tollen Artikel, die das Verständnis für die Kinder immer in den Vordergrund stellen!

  • Andrina

    Es gibt die gleiche Petition gerade such für NRW. Schön wenn diese viele Menschen unterstützen würden.

  • Maria

    Warum hört denn die Kindheit auf, wenn Kinder in die Schule kommen? Die Grundschule ist doch gar nicht mehr so wie vor 30 Jahren. Viele Kinder sind vom Kindergarten auch nicht gerade begeistert. Es wäre schlimm gewesen für unser Oktoberkind nicht in die Schule zu dürfen. Sie kann die Dinge, die ihr bereits im Kindergarten Spaß gemacht haben, Malen, Werken, Singen, Geschichten viel intensiver ausleben. Spielen tut sie nach wie vor sehr viel. Mir gefällt die Altersspanne in der ersten Klasse allerdings nicht und ich habe wenig Verständnis für die zahlreichen Siebenjährigen, die oftmals weit voraus sind und sich in der 2. Klasse sehr gut schlagen würden aber so den Klassenclown machen und den Kleineren das Leben schwer machen. Und 6-Jährige in den Kindergärten machen den Kleinen dort auch nicht selten das Leben schwer.

    • Sandra

      Wenn ein Kind schulreif ist, kann man es als “Kann-Kind” doch weiter einschulen lassen. Aber gerade bei den Jungs (sie haben ja ein Mädchen) ist es eben oft ein Jahr zu früh. Mein Sohn (August 2011) war in vielem durchaus schulreif. Er kannte alle Zahlen, konnte etwas rechnen, zeichnen war auch kein Problem. Aber mir war schon vor der Einschulung klar, dass er sozial-emotional noch nicht soweit war. Und so war es dann auch. Zusätzlich bereitete ihm das Lesen- und schreiben lernen sehr viel Mühe. Man hätte meinem Sohn viele Misserfolge, viele Enttäuschungen und das bittere Gefühl nicht gut genug zu sein ersparen können. Jetzt wird er die 2. Klasse wiederholen. Einen Zeitgewinn hatte er also auch nicht. Er hätte soviel profitiert von einem weiteren Jahr Kindergarten!

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