Erhalte zu jedem gekauften Buch eine Widmung von Herbert Renz-Polster gratis dazu!
6-Jährige Tochter masturbiert in der Öffentlichkeit, was tun?
Meine Tochter geht in die erste Klasse. Der Übergang hat sie sehr gefordert. Vor ein paar Monaten hat sie damit begonnen, ihre Vulva an Gegenständen zu drücken. Ich selbst habe damit kein Problem, aber ihr Lehrer findet das sehr irritierend. Meine Tochter sagt, dass sie das lange Stillsitzen so "hibbelig" mache und sie dadurch die Schule besser aushalten könne und das Gefühl einfach schön wäre. Auch mein Umfeld will mir vermitteln, dass das nicht „normal“ sei und kam schon mit den wildesten Thesen daher, warum sie das wohl mache.
Ja, wilde Thesen zur kindlichen Selbstbefriedigung gab es schon immer, auch heute noch. Ein paar Gedanken dazu.
Erstens. Schon Babys haben sexuelle Regungen, also spüren Lust auch über die Genitalien, den Eltern sind die dazugehörigen Phänomene wie erigierter Penis oder geschwollene Schamlippen vertraut. Und auch dass die Kleinen der Lust durch bestimmte Körperstellungen und Bewegungen manchmal nachhelfen. Das ist Ausdruck einer ganz normalen, gesunden Entwicklung. Mit unserer erwachsenen Sexualität ist diese „Ganzkörperlust“ nicht gut zu vergleichen. Das Kind sammelt dabei Erfahrungen, entdeckt seinen Körper, und ist dabei pragmatisch wie in jedem Spiel: wenn ich das oder jenes tue, bekomme ich schöne Gefühle, Punkt.
Zweitens. Für das Kind sind die sinnlichen Momente wichtig, es lernt dabei auch seinen Körper gern zu haben. Es ist deshalb gut, wenn du ihm die Freiheit gibst sich selbst zu entdecken (und andere, etwa gleichaltrige Kinder auch, da stehen ja dann so mit drei oder vier Jahren die „Doktorspiele“ hoch im Kurs, die wir den Kindern nicht verderben dürfen, aber dazu vielleicht mal was wann ander mal).
Drittens, und zurück zur Selbstbefriedigung. Weil es für sie ja nichts Peinliches ist, machen Kinder das auch im Beisein anderer. Sollen/dürfen wir dann eingreifen? Natürlich. Zum Beispiel, weil man eben doch „erwachsene“ Schamgefühle hat, oder vielleicht auch die anderen Kinder im Blick hat (wie etwa der Lehrer hier). Wir können den Kindern dann zeigen, dass Selbstbefriedigung nicht in jedem sozialen Setting gut passt. Es ist wie mit dem in der Nase bohren. Das macht Kindern großen Spaß (Erwachsenen auch), aber andere möchten das nicht sehen. Und deshalb bringen wir auch das den Kindern liebevoll und hartnäckig bei.
Viertens. Wenn wir dem Kind das auf gute Art vermitteln, ist das überhaupt kein Drama. Für das Kind ist es ja nichts Peinliches, und tatsächlich können die Kinder auch überraschend offen darüber reden, etwa warum sie das machen („danach bin ich wach“). Du vermittelst dem Kind also, dass es das für sich alleine gerne machen kann, aber dass es in der Gruppe nicht gut passt. So lernt das Kind die soziale Gratwanderung: einerseits seine Intimität zu wahren und zu leben, andererseits auch Rücksicht auf sein soziales Umfeld zu nehmen.
Fünftens. Die Entwicklung des Schamgefühls ist übrigens unglaublich variabel, bei manchen Kindern beginnt das schon mit zwei Jahren, bei anderen erst mit sechs oder sieben Jahren. Je älter das Kind, desto mehr kannst und solltest du dich (und das Kind) gerade bei häufiger Masturbation auch fragen, was dahinter steht. Denn hinter häufigem Masturbieren können tatsächlich Anspannungen stehen, die das Kind auf andere Weise nicht loswerden kann. Da gilt es dann nach Ursachen und Alternativen zu suchen – Kinder regulieren sich zum Beispiel unglaublich gerne über Bewegung, Spiel und sonstigen körperlichen Spaß. Den braucht es immer für die Balance (und das sagt dir ja auch deine Tochter) 😉
Eine gute Übersicht zur kindlichen Selbstbefriedigung fand ich übrigens auf spektrum.de.
ingrid loebner
Lieber Herbert und liebe Mutter, lieber Vater, die hier fragen,
ein bißchen was möchte ich zu Herbert Renz-Polsters Antwort nur ergänzen (alles sonst, was hier schon steht, ist sicher richtig):
Sie als Eltern schreiben, dass der Übergang in die Schule Ihre Tochter sehr gefordert habe. Das ist eine wichtige Spur dazu, warum das Kind dazu übergeht, zu masturbieren. Masturbation wird von jüngeren Kindern dann – egal wie der soziale Zusammenhang gerade ist – wie ein dringendes Bedürfnis und nicht ganz selten eingesetzt, wenn Kinder mit Spannungen (zu hohen Anspannungen, manchmal sind es durchaus auch Ängste, die ein Kind zwar irgendwie spürt, aber über die es nicht ohne weiteres reden könnte) und mit Stress nicht zurecht kommen. Durch die erregenden Gefühle bauen Kinder Spannungen, ab, bzw. wirken die `guten Gefühle` auch deutlich entgegen, sollte es sich um Ängste handeln, die ein Kind zwar irgendwie hat, aber nicht ohne weiteres durch Sprache formuliert.
Man kann sich als Kind dann durch Erregung einfach ein bißchen `wegbeamen`- dann spürt man alles, was man im Hier und Jetzt nicht gut aushält nicht mehr so deutlich, oder vielleicht auch gar nicht mehr.
Insofern: Es ist ganz ok, dass es dem Lehrer auffällt (denn meist sind Kinder in dem Alter emotional in ihrer Entwicklung schon an dem Punkt, dass sie aus Schamgefühlen heraus eher so für sich sorgen, dass sie in einem sozialen Rahmen mit ihren intimem Verhalten bei anderen nicht mehr auffallen wollen); dass er deswegen auch die Eltern des Kindes mit ins Boot holt. Allerdings geht es bei Gesprächen nicht um die Frage, ob sich das KInd `richtig` oder `falsch`verhält; sondern es wäre immer gut, der Frage nachzugehen: Was bringt das Kind so in Stress und unter Anspannung, dass es diesen `Ausweg` unbedingt braucht. Wenn Kinder unwillkürlich und immer wieder in einer Schulklasse masturbieren, wäre es für mich schon ein ziemlich ernstzunehmender Hinweis darauf, dass das Kind `unter Strom` steht und für die Erwachsenen die Frage gut weiterhilft: Was alles kann es sein, das dem Kind so viel Stress macht, dass es sich nur so zu helfen weiß. Hilfreich ist meist, sich alle möglichen Ebenen, die das Kind (neu) aushält, anzuschauen, was alles das betreffende Kind belasten, unter Stress setzen könnte. Wenn man da unter den Erwachsenen freundlich, wohlwollend alle Ebenen genauer etwas `durchleuchtet` und dann infolge Belastungen zurück nimmt, vor allem für das Kind auch für sehr gute emotionale Geborgenheit in neuen, in emotional noch schwierigen Situationen sorgt, dann – so meine Erfahrung, eigentlich immer – braucht ein Kind das Masturbieren nicht mehr. Wenn sonst alles ganz gut, gut genug ist, braucht man die Erregung unte anderen Kindern nicht, um sich gut zu fühlen.
Herzlich
Ingrid Löbner, Sexualberaterin, Sexualpädagogin.