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Beratungsfrage28. Oktober 2025

Soll ich mein Kind gegen Corona impfen lassen?

Jedes Jahr im Herbst treibt uns die Frage um, ob es sinnvoll bzw. vertretbar ist, unsere Kinder gegen Corona impfen zu lassen (sie sind 3 und 8 Jahre alt, beide gesund und mit dem üblichen Programm geimpft). Wir fanden hier auf Insta viele tolle Kinderarztaccounts, die ausführlich über die Impfungen für Influenza und RSV informieren und damit hilfreiche Aufklärung betreiben. Die Corona-Impfung findet da aber meist keine Erwähnung. Vielleicht haben Sie für uns eine Orientierung? Was wir nicht einordnen können ist vor allem das: Viele Kinderarztpraxen bieten die Influenza-Impfung an, die Covid-Impfung fast nie.

Das ist eine richtig gute Frage, denn damit quälen sich sehr sehr viele Eltern.

Impfungen „lohnen“ sich zur Vorbeugung generell, wenn sie gegen eine gefährliche Krankheit einen wirksamen Schutz bieten (die auf die Gesellschaft bezogenen Argumente von wegen „Herdenimmunität“ lasse ich hier mal außer Acht, sie haben sich bei Corona sowieso zerschlagen).

Handelt es sich bei Covid um eine gefährliche Erkrankung?

Da hat sich ein bisschen das Narrativ durchgesetzt: für Kinder nicht so schlimm, oder: „die Pandemie ist doch jetzt vorbei“.

Wenn es nur so einfach wäre. Ja, es stimmt, dass Kinder besser mit Covid zurechtkommen als Erwachsene. Aber Covid bleibt trotzdem auch für Kinder eine respektable Bedrohung. Was die Akutkrankheit angeht, ist Covid bei Kindern von der Schwere her etwa mit der Influenza-Grippe vergleichbar.

Schwerer wiegt das Risiko lang anhaltender Beschwerden (Long Covid), das aus vielen Gründen schwer zu schätzen ist, aber sich auf etwa 1 bis 4 Prozent der infizierten Kinder und Jugendlichen beläuft. Wenn man die einschneidende Natur dieser oft chronisch verlaufenden Erkrankung betrachtet, ist das eine ernst zu nehmende Last. Zudem scheinen Corona-Infektionen Kinder etwas anfälliger zu machen gegenüber Typ 1 Diabetes (und womöglich anderen Autoimmunerkrankungen). Das alles ist kein Grund zur Panik, aber zur Vorsicht schon.

Also impfen?

Wie schwer die Antwort fällt, zeigt der Blick auf die Grippe (Influenza). Die Impfung ist hierzulande nicht im Programm der für alle Kinder empfohlenen „Regelimpfungen“, in anderen europäischen Ländern und in den USA aber sehr wohl. Weil: die Grippe kann ganz schön zulangen! Nicht jedes Jahr gleich stark, aber ab und an eben doch heftig. Todesfälle sind selten, aber die Influenza spielt da immerhin in der Liga der Meningokokken – für die inzwischen sogar zwei Impfungen im Regelprogramm für die Kinder in Deutschland stehen.

Zudem betrifft die Grippe immer gleich sehr viele Kinder, und die sind dann oft richtig krank, gerade die Säuglinge und Kleinkinder. Genau deshalb empfehlen viele Kinderärzt:innen (ich gehöre dazu) auch ohne die offizielle Empfehlung der Impfkommission eine jährliche Impfung gegen Influenza (die meisten Krankenkassen übernehmen dafür freiwillig die Kosten). Auch Schwangeren wird die Impfung empfohlen – vor allem zum späteren Schutz des Säuglings.

Aber warum ist die Grippeimpfung in Deutschland oder in der Schweiz nicht für alle Kinder empfohlen – anders als etwa in Österreich, wo sie für alle Kinder ab 6 Monaten bis 15 Jahren empfohlen ist?

Dahinter steht eine komplexe Abwägung, sie hat vor allem mit einem Nachteil der Grippeimpfung zu tun: Das Grippevirus verändert sich jedes Jahr, und der im Voraus nach den Prognosen der Mikrobiolog:innen produzierte Impfstoff wirkt jahresabhängig unterschiedlich gut (in guten Jahren zu ca. 70 %, in schlechten zu etwa 30 %). Immerhin – sagen die einen. Hmm – sagen die anderen.

Aber zurück zur Covid-Impfung!

Wenn es bei der Antwort auf die Impf-Frage bei Influenza schon hin und her geht, dann ist die Impf-Frage bei Covid ein Schleudergang:

Nachteil 1

Der saisonale Verlauf bei Corona ist viel weniger gut vorhersehbar als bei Influenza. Die Influenza zieht in jährlichen Wellen um die Erde (wir sind bekanntlich im Winter dran). Bei Corona gibt es zwar auch eine Winterwelle, aber auch eine Sommerwelle, oder auch mal eine im frühen Herbst (wie dieses Jahr), und sporadische Fälle sind nie ausgeschlossen. Bei Corona ist es also schwieriger den richtigen Impfzeitpunkt zu treffen. Und das ist in der Praxis kein geringes Manko, und zwar wegen eines weiteren, lästigen Problems…

Nachteil 2

So gut und schnell sich ein Schutz nach der (zweiten) Impfung aufbaut auf einigermaßen verlässlichem Niveau hält er nur relativ kurz an: bei den hierzulande fast ausschließlich verfügbaren mRNA-Impfstoffen vielleicht 3 Monate, bei dem antigenbasierten Impfstoff von Novovax sind immerhin noch ein paar Wochen mehr drin.

Wegen dieser recht kurzen Schutzdauer ist immer damit zu rechnen, dass man die Impfung vielleicht “umsonst” gibt.

Die Wahl des richtigen Zeitpunkts scheitert nämlich teils schon an der Frage: Wann genau hatte eigentlich Paula oder Paul ihre letzte Corona-Infektion? War das vor zwei Monaten, als die beiden Fieber hatten und hustet…? Genau das bleibt oft fraglich, weil die Symptome bei Covid gerade bei Kindern nicht eindeutig sind, und auch die Tests nicht immer akkurat anschlagen (und wer, bitteschön, macht bei einer Infektion überhaupt einen Test, und das möglichst an mehreren Tagen…?)

Und einfach „alle paar Monate“ zu impfen ist auch keine Option, weil dadurch der „Ertrag“ für das Immunsystem immer weiter abnimmt – und auch Bedenken hinsichtlich einer Überstimulation des Immunsystems bestehen.

Nachteil 3

Die Impfung scheint zwar das Long Covid-Risiko zu senken, aber womöglich nur teilweise. Einzelfälle von Long Covid nach einer Impfung sind bekannt, allerdings wahrscheinlich sehr selten – und wohl deutlich seltener als nach einer Corona-Infektion.

Fazit

Die Abwägung ist schwierig (auch für mich). Auch wenn mit Covid nicht zu spaßen ist, so sind die derzeitigen Impfungen auch keine befriedigende Lösung. Womöglich lässt sich das Risiko damit schon etwas senken, aber bestimmt nicht so umfassend wie wünschenswert (das könnten sich übrigens mit den in Entwicklung stehenden „Nasen-Impfstoffen“ gegen Corona ändern – hoffen wir darauf!).

Weil wir Eltern also die Kinder nicht wirklich gut schützen können, bräuchte es unbedingt einen besseren „öffentlichen“ Schutz der Kinder, etwa Luftfilter in den Bildungseinrichtungen – Nur: heute ist ja schon das regelmäßige Lüften den Klassenzimmern in vielen Schulen wieder „out“… Zum Nachteil der Kinder, denn, noch einmal:

Covid ist keine Bagatell-Erkrankung.

 

Danke fürs Mitgehen! Und wie immer bei Gesundheitsthemen, empfehle ich mein „dickes“ Kindergesundheitsbuch: Gesundheit für Kinder!
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3 Kommentare

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  • Isa

    Hier in der Gegend ist schlichtweg keine Covid-Impfung für Kinder mehr zu kriegen…

  • Rainer Zwerschke

    Das hört sich sehr nach einem ehemaligen Gesundheitsminister à la die Coronaimpfung ist praktisch nebenswirkungsfrei an, oder vermisse nur ich bei einer Impfabwägung die Betrachtung möglicher Nebenwirkungen?
    Abgesehen davon, daß bei der mRNA-Impfung immer noch nicht bekannt ist wie viel der mRNA, wie lange, wo im Körper aktiv bleibt. Oder geht Herr Renz-Polster immer noch von ein paar Tagen nur im Oberarmmuskel aus?

  • Jale

    Herzlichen Dank für diese fundierte, sachliche, präzise und anschauliche Abwägung!
    Das schätzen wir hier bei HRP unheimlich, pädiatrische Expertise wissenschaftlich enorm gut abgewogen.

    DANKE, DANKE!!