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Kommentar15. Dezember 2017

Neulich in der ZEIT: Attachment Parenting, nochmal eine Version…

Das hanseatische Edelblatt hat wieder einmal einen Aufreger rund um die wahrhaft entscheidenden Dinge des Lebens vorgelegt. Die Zutaten: eine bittere Selbstanklage (“ich habe Attachment Parenting betrieben!”), eine enttäuschte Mutter, und eine flammende Mission: Eltern, gebt euch nicht auf!

Na, lesen kann das jeder selber. Der Beitrag ist flott geschrieben, manchmal auch bissle arg flott (“die Droge AP endet mit Bernsteinkettchen, ätherischen Ölen, Chiropraktikern, einer Trageberatung, Babymassage-Kursen”, na ja ).

Vor allem finde ich aber das schade: Da schreibt eine Mutter eine Art Bekenntnis mitten aus ihrem persönlichen Leben. Und dann versteckt sie sich halt doch wieder hinter einem “Experten”. Der darf dann am Ende den geneigten Leserinnen die angeblich gültige Lehrmeinung reindrücken: man müsse den Kleinen schon auch Frust zumuten. Denn: “Frust sei  der Schlüssel zu jedem Entwicklungsschritt”.

Dann hätten wir also auch das geklärt.

Aber schauen wir uns den Frust einmal genauer an. Man will nämlich wirklich beim Lesen die Mama in den Arm nehmen und mit ihr gemeinsam das Leben beklagen, das sie sich da eingerichtet hat: Der Papa kommt erst spät abends nach Hause, sie selbst verbringt den Tag “in toxischen Gesprächen” unter Müttern, die “für den maximalen Frust durch ständigen Vergleich” sorgen  (“Was, du hast dein Baby schon geimpft? Dann stillst du wohl nicht voll, sonst würde es ja von deinem Nestschutz profitieren.”). Und sie hat in drei Jahren zwei kleine Kinder bekommen, und das kleinere davon (12 Monate alt) ist “total auf sie fixiert”.

Ja, ich würde sagen, das ist wirklich mehr als man so braucht.

Die Frage ist nur, was das mit AP und “bedürfnisorientierter Erziehung” zu tun hat – die zwei Dinge sind der Autorin im Frust irgendwie zusammengewachsen. Überhaupt staunt man,  was alles angeblich zu AP dazugehört: von der Impfkritik bis zum tiefenpsychologisch geführten Zickenkrieg. Als gäbe es den nur im Biolanden am Prenzlauer Berg.

Puuh, was also soll man jetzt dazu sagen? Gibt es wirklich Familien, die in der Schwangerschaft ein Buch aufschlagen, eins mit den 7 Grundregeln zum Umgang mit einem Baby…? Und das dann durchziehen, weil…? Ja, genau, warum eigentlich? Weil ein amerikanischer Kinderarzt (den übrigens die wenigsten, die in diesem Theater auftreten, überhaupt kennen dürften – AP ist in Deutschland ja anders als in den USA eine sehr heterogene Veranstaltung – das habe ich hier mal beschrieben…)?

Also in echt: da unterwerfen sich kritische Menschen, die sonst noch für jeden Kauf einer Tube Faltencreme stundenlang in Internetforen das Für und Wider recherchieren, bei ihren unmittelbarsten Lebensentscheidungen einem 7-Punkte Programm eines amerikanischen Kinderarztes? Der dann festlegt, was man darf und was nicht? Wirklich?? Na schön dann, Frau Rosales, dass Sie aus dieser Sekte endlich rausgekommen sind (das meine ich ganz in echt)!

Und als Proviant für den weiteren Weg, wenn ich mir den erlauben darf, noch etwas Grundsätzliches – und zu dem braucht man diesmal kein Buch, sondern einen Blick auf das menschliche Leben:

  • Menschen haben den “teuersten” Nachwuchs, den es gibt, alleine kann eine Mutter das nicht schaffen. Wir sind auf Gedeih und Verderb als “kooperative Brüter” gedacht (hier begründet). Wir BRAUCHEN Helfer, Rückenwind, Entlastung. Wir KÖNNEN unsere Kinder nur im Team großziehen. (Und dann haben wir übrigens auch die Kraft, um auf ihre Bedürfnisse einzugehen und müssen uns nicht alles mögliche Geschwätz zusammenreimen, was sie angeblich stattdessen brauchen – Frust als Entwicklungsmotor, ich komme echt nicht darüber hinweg, kein Wunder sieht es in der Welt so aus).
  • Bedürfnisorientierter Umgang heisst nicht, dass wir manisch bestimmte Zutaten abnudeln, das lange Stillen, das Immer-Tragen, das “windelfrei”, das was-weiss ich. Auch lange gestillte Kinder können grausame Kriege führen, so ist das doch. Bedürfnisorientierte Erziehung heisst, dass wir uns auf unsere Kinder einlassen, achtsam mit ihnen umgehen und mit uns selbst auch. Und das geht mit Brust und mit Fläschchen auch. Wenn wir uns nahe sind und uns als Team sehen, kann eigentlich gar nicht so viel schief gehen.
  • Denn das zeigt der Artikel wirklich gut: Mutter-Sein kann mit zusammengebissenen Zähnen einfach nicht klappen. Ob man nun AP betreibt (oder was man dafür hält), oder was weiß ich für eine Art von Erziehungskunst praktiziert.
  • Und dann noch was zu dem Kleinen im Text. Dass Säuglinge anhänglich sind, ist ein Fakt des Lebens, das muss man ihnen echt nicht vorwerfen. Klar wäre es anders praktischer, so wie es auch praktischer wäre, wenn sie ihr Geschäft nur ein- oder zweimal erledigten, wie wir Erwachsene das tun. Wir bekommen aber eben BABYS. Und die strapazieren ihre Eltern eine Zeitlang IMMER mehr als wir das erwarten (auch weil Babys es nicht als ihre Aufgabe sehen, unsere Elternprobleme samt Emanzipations-, Vereinbarkeits- und Beziehungskiste zu lösen und selber auch nicht dafür sorgen können, dass der Chef den Papa abends früher nach Hause lässt). Jedenfalls, ich glaube, alle Eltern kennen dieses in dem Artikel beschriebene Gefühl von Neid. Die Wehmut über vergangene Freiheiten (“Ich würde so gerne tun, was du da tust”). Das ist Teil des Lebens. So wie es umgekehrt ein Teil davon ist, dass diese Zeit der Abhängigkeit vergeht (das ist ja sozusagen der Geschäftszweck der Entwicklung, und wenn man das mit dem Frust nicht zum Programm verklärt, stellt er sich auch garantiert ein ;-). Also wirklich, Caroline, jede Mutter (und Vater) würde gerne einen Zug aus Deiner Zigarette nehmen. Deshalb: Danke für den Artikel und pack noch ein paar aus!

Und während wir gemeinsam ziehen, erklärst Du mir bestimmt auch das noch, die Information bist Du mir in meinen Augen nämlich noch schuldig geblieben: Gibt es eigentlich eine Alternative zu einem bedürfnisorientierten Umgang mit Kindern? Wir haben ja wirklich schon einiges ausprobiert, oder? Müssen wir jetzt wirklich so ein riesen Theater um AP (was auch immer damit gemeint sein mag) veranstalten – nur weil ein paar Fundi-Mamas am Prenzlauer Berg sich noch nicht locker gemacht haben?

9 Kommentare

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  • Anne Mo

    Balsam für mich. Danke für die Worte.

  • hummelchen84

    Oh Gott wie unglaublich treffend. Danke.

  • Maria

    Großartig geschrieben! Danke!!!

  • Christine

    Vielen Dank

  • Janine Singer

    Köstlich, vielen Dank!

  • Leo

    Danke!!!! Mich hat der Artikel auch total befremdet. Endlich eine treffende und eloquente Replik, die es einfach auf den Punkt gebracht !
    Nochmals Danke!!!!

  • Claudia

    Großartig und auf den Punkt kommentiert!
    Ich kam beim Lesen des ZEIT-Artikels aus dem Kopfschütteln nicht raus. …wie fürchterlich das Leben dieser armen Prenzl’berg-Mutter klingt…
    Ich kann nur empfehlen: besser man nutzt Herz und Verstand wenn es um den eigenen Nachwuchs (und immer auch ein Stück um sich selbst) geht, als Trends und die Meinung anderer.

  • Klara

    Bei Winterhoff weiß ich nie so richtig, ob ich seine Einstellung gut finden soll oder nicht. Irgendwie klingt es für mich oft logisch, aber seine Schlussfolgerungen sind meist plakativ und zum Teil abstrus. Nur weil ich auf die Bedürfnisse meines Kindes eingehe, kreise ich nicht um mein Kind und es wird deswegen auch kein Tyrann, denn Bedürfnisse sind keine Wünsche. Er vermengt immer recht viel, meines Erachtens.

    So finde ich aber wiederum seine Kritik, “dass Eltern ihre Kleinkinder und Kinder von jedem Frust, den das Leben bereithält, fernhalten wollen” zum Beispiel richtig. Ich verstehe zwar nicht, was das mit bedürfnisorientierter Erziehung zu tun haben soll, aber genau so verstehe ich auch Ihre Reaktion darauf nicht: “Frust als Entwicklungsmotor, ich komme echt nicht darüber hinweg, kein Wunder sieht es in der Welt so aus”
    Wenn ich mir meine Tochter so angesehen habe, hatte sie schon mächtig Frust dabei, dass das mit dem Vorwärtskommen via Krabbeln noch nicht so recht klappt. Ich kann ihr doch den Frust nicht abnehmen bzw. den Frust umgehen in dem ich sie immer von A nach B trage. So hätte sie das Krabbeln doch nie gelernt? Und auch wenn der Frust nicht sein müsste, um sich zu entwickeln, erinnere ich mich daran, dass ich auch noch als Erwachsene bei diversen Dingen Frust erlebt habe, dass etwas nicht klappt. Aber umso stolzer war ich auf mich, als es endlich geklappt hat.
    So ist Frust vielleicht keine Grundvoraussetzung für Entwicklung, aber doch ein ganz guter Motor, finde ich. Wenn mich etwas nicht frustriert, warum sollte ich es ändern?

    • Anne

      Ihr Kommentar ist schon lange her, aber ich persönlich möchte gerne darauf antworten:
      Dass M. Winterhoff in letzter Zeit arg in Verruf geraten ist, tut dem Artikel (den ich im Übrigen auch ganz schwer zu lesen fand) natürlich nichts Gutes, aber ganz deutlich wird hier wieder das Absolut-Setzen: “Dabei ist Frust laut Experten wie Michael Winterhoff der Schüssel zu JEDEM Entwicklungsschritt.”
      Was Sie geschrieben haben – Ich helfe meinem Kind, das Krabbeln will, nicht dabei, damit es das aus eigener Kraft schafft und so die Erfahrung von Selbstwirksamkeit macht – ist eine ganz positive Art von Frust. Das bedeutet ja, ein Problem vorzufinden, zunächst daran zu scheitern und dann Möglichkeiten zu entwickeln, wie das Problem gelöst werden kann. Ganz wunderbar!
      Was Herr Winterhoff aber mit dem Zitat eher meint, ist, dass ich meinem (Klein-)Kind, das gerne ein Buch vorgelesen haben möchte, diesen Wunsch nicht (sofort) erfüllen, sondern es zunächst dem Frust des Abgewiesen-Werdens aussetzen soll. Hierin wird keine Erfahrung von Selbstwirksamkeit gemacht, sondern bloße Zurückweisung, im schlimmsten Fall noch nicht mal aus nachvollziehbaren oder tatsächlich vorhandenen Gründen, sondern einfach nur, weil das Kind “das halt lernen muss”.
      Natürlich ist man als Eltern auch mal müde. Oder man hat gerade etwas anderes zu tun. Oder man hat schon ganz viel vorgelesen und die Stimme ist etwas angeschlagen. Oder, oder, oder … Aber all das wären Gründe, die ich meinem Kind dann auch in Ruhe erklären kann (und meiner Meinung nach auch sollte). Das bedeutet natürlich nicht, dass das Kind in jedem Fall einsichtig und verständnisvoll ist. Aber wenn ich dann wiederum mit Einsicht und Verständnis auf die Wut/den Frust reagiere, merkt es zumindest: “Ich wurde mit meinem Wunsch gehört und es ist in Ordnung, dass ich mich ärgere. Ich werde mit meinen Gefühlen ernstgenommen.”
      Und, um das abzuschließen, finde ich den wichtigsten Satz aus dem Kommentar von Herrn Dr. Renz-Polster den folgenden: “Bedürfnisorientierte Erziehung heisst, dass wir uns auf unsere Kinder einlassen, achtsam mit ihnen umgehen und mit uns selbst auch.” Der letzte Halbsatz ist hier wichtig.
      Nur, wenn ich auch auf meine eigenen Bedürfnisse höre und diese dem Kind kommuniziere, kann bedürfnisorientierte Erziehung wirklich funktionieren.

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