“Zu enge Bindung” – das Gift wirkt bis heute
von Anna S.

Dieser Beitrag stammt von einer selbst im Bereich Hilfen zur Erziehung arbeitenden Fachperson - die mit ihren eigenen Kindern erfahren musste, wie leicht man als Mutter - und insbesondere als alleinerziehende Mutter - auch heute noch in die Mühlen der Ideologie einer "symbiotischen" Bindung gerät.
Wenn Kinderschutzmeldungen nicht zu treffen - und Eltern selbst den Scherbenhaufen zusammenkehren müssen
Vorweg: Gibt es alarmierende Gründe, ist eine nach § 8a SGB VIII an das Jugendamt adressierte Gefährdungseinschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung der richtige Weg. Machen Fachpersonen eine solche Meldung, so müssen von mehreren Paar Augen geprüfte und gewichtige Anhaltspunkte vorliegen.
Aber was passiert, wenn eine Meldung gemacht wurde, die auf einer fachlichen Fehleinschätzung beruht? Ergibt eine Überprüfung der Kinderschutzfachkräfte im Jugendamt, dass keine Gefährdung vorliegt, wird die Akte zugeklappt und die Eltern entlassen. Für die Eltern aber geht der Fall weiter. Sie bleiben oft ohnmächtig zurück – mit dem Gefühl massiv angegriffen worden zu sein, ohne sich richtig wehren zu können. Das auch deshalb, weil manchmal weitere Institutionen in den Fall mit einbezogen werden und den Eltern damit das Stigma „kindeswohlgefährend“ anhaftet. All das zeigt, wie groß der Scherbenhaufen sein kann, der durch eine vorschnelle Kinderschutzmeldung entstehen kann.
Mir ist es passiert.
Als mit dem Kinderschutz vertraute Fachperson weiß ich: Wer Kinder hat, lebt mit dem Risiko, dass es zu einer Kinderschutzmeldung kommen kann. Schließlich kann jede*r eine solche Meldung machen – egal ob aus der Luft gegriffen, auf Verdacht oder aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte. Es können Nachbar*innen sein, denen ein zu lang weinendes Kind auffällt, es kann ein*e rachenehmende*r Expartner*in sein – oder die Meldung entsteht durch einen missglückter Kontakt mit einer unerfahrenen oder schlecht ausgebildeten Fachkraft der Sozialen Arbeit, wie in meinem Fall. Alleinerziehende Mütter scheinen überproportional häufig von diesen Meldungen betroffen zu sein. Dies zeigt auch die Studie von Dr. Wolfgang Hammer, der Inobhutnahmen von Kindern von Alleinerziehenden analysiert hat.Die Fallstudie von Prof. Wolfgang Hammer zeigt, wie stark Vorbehalte gegenüber Alleinerziehenden Müttern wirken können: Hammer, Wolfgang: Problematische: Inobhutnahmen und Fremdunterbringungen / Teil II – Auswertung von 612 Rückmeldungen zur Fallstudie vom November 2019. In: Blickpunkt Jugendhilfe 1/2021, S. 3 – 10 sowie Hammer, Wolfgang: Fremdunterbringungen gegen den Willen von Eltern und Kindern – 42 Fallverläufe von 2014 bis 2019. In: Blickpunkt Jugendhilfe 1/2020, S. 13 – 20 Auch in den Netzwerken von Alleinerziehenden ist zu erfahren, dass Erzieher*innen oder auch von einem Familiendienst beauftragte Haushaltshilfen nicht selten eine „Gefährdungsbrille“ tragen und Situationen bei Alleinerziehenden als alarmierend einstufen, die bei Kindern von 2-Elternfamilien noch nicht einmal auffallen würden – wie beispielsweise die Hose, die das Kleinkind ganze vier Tage lang trägt oder das Wissen um ein Familienbett, das dann als Indiz für eine “symbiotische Beziehung” gilt.
Ich bin Mutter und habe gleichzeitig einen Master in Pädagogik. Ich habe selber viele Jahre in der Jugendhilfe gearbeitet. Und das ist meine Geschichte:
Nach einem entgleisten Gespräch in einer schief gelaufenen Beratung werde ich mit einer Gefährdungseinschätzung konfrontiert und bin wie vor dem Kopf gestoßen. Wer kennt nicht das Gefühl, wenn man ein Geschäft verlässt und es plötzlich laut zu piepen anfängt? Man weiß, man hat nichts geklaut und dennoch kommt für einen kurzen Moment Panik auf. So ähnlich hat es sich für mich angefühlt. Nur dass die innere Aufregung viel länger anhält, schlimmer ist und man bleibend in Verruf gerät. Doch was ist passiert?
Ich habe zwei Kinder und bin alleinerziehend, gut eingebettet in einem starken Netz aus engagierten Großeltern, Nachbar*innen, anderen Eltern, Familiezentren und Vereinen. Da ich nicht mit dem anderen Elternteil über die Entwicklung der Kinder sprechen kann, bin ich seit vier Jahren bei meiner Beraterin in der städtischen Erziehungs- und Familienberatungsstelle. Alle zwei Wochen bin ich dort und freue mich auf die Termine. Sie tun gut.
Mit der Geburt des zweiten Kindes hat sich die Familiendynamik bei uns zu Hause verändert. Ich wollte den Fokus auf mein erstgeborenes Kind legen, das im Zuge der nachgeburtlichen Geschwistersituation neue Entwicklungsaufgaben hat. Ich wollte einfach nichts übersehen, und so dachte ich, eine weitere Beratung bei einer anderen Beratungsstelle mit dem Fokus auf meine Große könnte hilfreich sein.
Das Gegenteil war der Fall. Diese Beratung endete mit einer § 8a-Meldung wegen Kindeswohlgefährdung.
Die Beratung fand in einem Kinderschutzzentrum statt, das laut Homepage explizit offen für alle Eltern ist, die sich in der Entwicklung ihrer Kinder beraten lassen möchten. Dass dabei anscheinend von vornherein die Schublade Kinderschutz aufgemacht wurde, ahnte ich nicht.
Die Beraterin war jung, jünger als ich, wirkte sympathisch und engagiert. Dennoch habe ich nach wenigen Terminen die Beratung beendet. Irgendetwas erschien mir “schräg”. Ich habe mich unwohl gefühlt, war irritiert, dass sie mehr in ihren Block kritzelte als mich anschaute, kaum Fragen stellte, nicht wissen wollte, wie ich bestimmte Situationen handhabe oder was ich unter bestimmten Begriffen verstehe. Ja, es gibt in Beratungssituationen ein asymmetrisches Machtverhältnis und hilfesuchende Familien sind vulnerable Biotope, weswegen ein gutes Kooperatiosnverhältnis und ein freundliches Klima so wichtig sind.
Beides fand ich nicht vor.
Einer der ersten Sachen, die man im Studium der Sozialen Arbeit und anderen Sozialwissenschaften lernt, ist die Beobachtung – und wie subjektiv sie sein kann. Die Professorin stellt etwa ein Wasserglas auf den Tisch, und alle Studierenden schreiben ihre Beobachtung dazu und vergleichen sie miteinander. Am Ende kommen sehr verschiedene Bilder zusammen. Daher sind die kommunikativen Methoden, die Selbstreflexion und diagnostischen Mittel der Sozialen Arbeit und anderen Wissenschaften so wichtige Werkszeuge.
Auch in der Ausbildung im Kinderschutz lernt man, dass die eigene Vorstellung bei der Beurteilung reflektiert werden muss. Es gibt Ankerbeispiele, die die Gefährdungsituationen kategorisieren. Eine Mutter kann etwa sagen: „Der Zauberwürfel meines Kindes macht mich wahnsinnig, ich könnte ihn gegen die Wand schmeißen“ und meint damit, dass sie frustriert darüber ist, das Rätsel dieses Würfels nicht lösen zu können und drückt dies metaphorisch aus. Wenn man den Hintergrund nicht kennt und nicht nachfragt, könnte man verstehen: eine Mutter droht damit, das Spielzeug der Kinder gegen die Wand zu schmeißen. Sie hat sich nicht im Griff. Und schon ist man im Kontext einer gewaltvollen Situation und geht von einer Gefährdung aus. Nimmt man dann noch ein bisschen Mütterpathologiesierung dazu, eine eigene unreflektierte Bewertungsmatrix mit deutlichen Vorurteilen, dann wird die Schublade Kinderschutz schneller aufgemacht als man gucken kann.
Nach drei Beratungsstunden kam die Beraterin zu dem Schluss ich sei eine überforderte, überfürsorgliche und ausgebrannte alleinerziehende Mutter – und eine Gefährdung für meine Kinder.
Sie wollte gleich mit mir Termine machen, um beim Jugendamt für mich eine Familienhilfe zu beantragen (denn es gilt “Hilfe vor Meldung“). Als ich ablehnte und die Beratung beendete, schrieb sie mir per Mail, dass sie jetzt leider eine Meldung beim Jugendamt machen müsste. Ich hatte ihr zuvor den Grund der Beendigung der Beratung genannt, dass ich kein gutes Gefühl hatte und ich ihr Vorgehen als invasiv empfand. Die Kommunikation bezeichnete ich als schwierig. Die Beraterin schien bestimmte Stichworte herausgehört und sich ein Bild konstruiert zu haben. Immer auf der Nase ihre Brille „Kinderschutzfall“, aus der sie sich ihre fachliche Einschätzung zurecht legte. Welche Prozesse (auch Übertragungsphänomene) dabei eine Rolle spielten und welche Reizwörter sie alarmiert haben, kann ich nur erahnen. Dass die Situation alleinerziehend mit zwei jungen Kindern nicht immer einfach ist, dafür oft anstrengend, und dass der Ressourcenspeicher nicht immer voll aufgefüllt ist, wurde mit einer Gefährdung meiner Kinder gleichgesetzt. Eine Rolle dürfte auch das gespielt haben: Da das Kinderschutzzentrum explizit eine anonyme Beratung anbot, machte ich von meinem Recht Gebrauch – ohne zu ahnen, dass auch das anscheinend schon Zweifel nährte.
Dass es für mich eng werden würde, war damit abzusehen: Die Beraterin arbeitete schließlich in einer nicht unbekannten Organisation für Beratung, das stärkt ihre Position. Und zwar würde für eine Meldung auch in meinem Fall nach dem 4-Augen-Prinzip gehandelt – nur erfährt die dann einbezogene Kollegin die Schilderungen zu meinem Fall aus zweiter Hand, und zwar durch die alarmierende Brille meiner Beraterin.
Ich bot der Beraterin aus der entgleisten Beratung deshalb an, mit meiner langjährigen Beraterin der Erziehungsberatungsstelle zu sprechen, um sich abzusichern. Doch es blieb dabei: der Erfassungsbogen bei Verdacht einer Kindeswohlgefährdung ging raus ans Jugendamt, das Verfahren nahm seinen Gang. Zeitgleich meldete ich mich selber beim Jugendamt, um proaktiv der Meldung zu begegnen. Dass mir dabei fast der Boden wegrutschte und ich mich zwingen musste nicht völlig in Panik zu geraten, machte diesen Prozess zu einer der schrecklichsten Erfahrungen in meinem Leben.
Die Spuren wirken bis heute, fast zwei Jahre später, nach.
Meine Beraterin der städtischen Erziehung- und Familienberatungsstelle, die mich seit vier Jahren kennt, und die ich noch in Schockstarre kontaktierte, versicherte mir, dass sie die Einschätzung der Kindeswohlgefährdung nicht teilt, nie geteilt hat und sich alles klären würde.
Ich fühlte mich ohnmächtig. Wieso gab es diese Meldung überhaupt? Was ist da eigentlich passiert? Habe ich mich missverständlich ausgedrückt? Haben meine manchmal drastische Sprache und das fehlende Nachfragen der Beraterin dazu beigetragen? Habe ich überfordert gewirkt?
Oder fühlte sie sich von mir bedroht, weil ich recht souverän auftrete, mich gut ausdrücken kann und aus der gleichen Branche bin? Es ist müßig, darüber zu spekulieren, und gleichzeitig tue ich es.
Meine engsten Freund*innen (ansonsten konnte ich das mit niemanden besprechen) reagierten entsetzt. Dass sie sich nach dieser Erfahrung jemals in „Erziehungsfragen“ beraten lassen werden, kann ich fast ausschließen.
Die zwei Wochen von der Meldung bis zum Termin im Jugendamt waren belastend. Ich wusste, dass ich die Vorwürfe, ich sei überfordert oder überfürsorglich gut entkräften können würde, und gleichzeitig blieben Sorge und Rechtfertigungsdruck. Es war zwar beruhigend zu wissen, dass meine langjährige Beraterin der städtischen Beratungsstelle mit ihrer Einschätzung glaubhaft und unterstützend einwirken können würden, doch schlief ich schlecht, war nervös und verunsichert.
Schließlich war da auch die Angst. Ich kenne viele hochkompetente Fachkräfte, ehemalige Kommiliton*innen, die beim Wächteramt Jugendamt arbeiten. Ich schätze ihre Arbeit. Und doch wusste ich, dass es auch dort in (hoffentlich) wenigen Fällen eben doch auch zu Fehleinschätzungen kommen kann. Und ich wusste auch das: solche Fehleinschätzungen treffen alleinerziehende Mütter häufiger – siehe die oben verlinkte Studie von Dr. Hammer.
Als ich zwei Wochen später beim Jugendamt saß und mir eine der beiden Mitarbeiterinnen des Jugendamtes den Meldebogen vorlas, hätte alles fast schon absurd gewirkt, wäre das Thema nicht so ernst gewesen. Meine beste Freundin, selber Fachkraft im Kinderschutz, begleitete mich. Mein jüngstes Kind, gerade über ein Jahr, war auch dabei. Meine Freundin konnte sich um das Kleine kümmern, während ich zu der Meldung über meinen Fall Stellung nahm.
Meinem 7-jährigen Kind wurden Anzeichen einer psychischen Störung unterstellt. Dazu muss man wissen: Die Beraterin sah dieses Kind ein einziges Mal auf einem Spielplatz, auf dem es rutschte und schaukelte wie 7-jährige es tun. Welche Anzeichen sie sah, vermerkte sie nicht (den Termin auf dem Spielplatz schlug übrigens die Beraterin vor, um angeblich die ganze Familie kennen zu lernen. „Gerne bei Ihnen in der Nähe, dann haben Sie es nicht so weit nach Hause,“ sagte sie. Nichtsahnend, dass das eine fast FBI-artige Methode war, um den Stadtteil zu erfahren, in dem ich wohnte, samt dem Namen der Grundschule meiner Tochter, willigte ich ein. Dass sie für eine Diagnostik überhaupt nicht ausgebildet ist, ich nicht darüber informiert wurde, und dass das Beurteilen meiner Kinder in dieser Hinsicht auch nicht ihr Auftrag war, spielte bei dem übermächtigen Stichwort Kindeswohlgefährdung anscheinend überhaupt keine Rolle mehr.
Zurück zu meinem Termin im Jugendamt. Am kuriosesten war die Einschätzung, mein Baby würde sich selbst verletzen. Es war bei den drei Beratungsterminen dabei und paschte sich vielleicht einmal mit der Hand an den Kopf – zeigt aber keine Spur von Stereotypien, Deprivation, Frust oder Hilflosigkeit. Wer, wie ich, für die Entwicklung von Kindern und Babys ausgebildet ist, weiß, dass das in dem Alter meines Babys und in diesem Grad ein normales und vorübergehendes Verhalten ist. Ich erinnerte mich nicht einmal daran, weil es mir weder relevant erschien noch häufig vorkam.
Gleichzeitig merkte ich während ich meine Kommentare schrieb, wie prekär meine Position war. Wirkte ich zu rechtfertigend, entstünde vielleicht der Eindruck, ich hätte erst recht etwas zu verbergen. Kritisierte ich die Beraterin, würde es vielleicht wie elterlicher Widerstand wirken, der Wahrheit nicht ins Auge sehen zu wollen. Oder es würde so wirken, als sei es eine Reaktion aus narzisstischer Kränkung. Egal wie ich es ausdrückte, ich hätte schon verloren…
Dass ich eine Therapie mache, wurden ebenfalls gemeldet, samt hochsensibler Daten über mich – wahrscheinlich, um der Idee der eingeschränkten Erziehungsfähigkeit Nachdruck zu verleihen. Eine psychische Belastung und der Weg mit ihr umzugehen, wurde von ihr nicht als Ressource gesehen, sondern als Hindernis, dem Kindeswohl ausreichend gut zu begegnen.
Ich konnte alle gemachten Anschuldigungen, denn genau so fühlte es sich für mich an, entkräften. Bei der Meldung mein Baby wurde sich hauen, konnten die beiden Mitarbeiterinnen beim Jugendamt nur müde lächeln.
Aber die Aussagen der Beraterin im Meldebogen waren tief beschämend für mich. Dass in einer deutschen Behörde nun diese sensiblen Daten über mich gespeichert wurden, machte es für mich nicht einfacher.
Nach noch nicht einmal einer 3/4 Stunde beim Jugendamt wurden die Schreibblöcke zugeklappt: „Das haben wir öfter mal, dass Menschen Stichpunkte raushören und sich was zurecht wurschteln. Das SGB VIII oder Familienhilfe ist nichts für Sie.“
Kindeswohlgefährdung ausgeschlossen, Fall beendet?
Ich erfahre auf meine Nachfrage, ob denn die Schule einbezogen wurde, dass das gemacht wurde. Die Sozialarbeiterin klappte die Akte wieder auf, blätterte und las vor, was der aufnehmende Kinderschutzdienst des Jugendamtes von der Schule erfahren hat. Mein Kind sei unauffällig, die Mutter fürsorglich, auch gegenüber dem kleineren Geschwister, keine Auffälligkeiten.
Durch die Erzieherin in der Schule erfuhr ich später, dass das Jugendamt über den Kinderschutzdienst an unsere Identität (Vor- und Nachname, Adresse) herankam. Für die Einschätzung der Schule wurden wohl Erzieherin, Hortleitung und Lehrerin nach dem Anruf des Kinderschutzes des Jugendamtes ins Sekretariat gerufen. Dort mussten sie vor der Dirketorin über uns aussagen, die ihre Erkenntnisse dann wieder dem Jugendamt rückmeldete. Dass die Schule diese Auskunft überhaupt nicht hätte erteilen dürfen, da nach Paragraph 8b SGB VIII keine gravierenden Anhaltspunkte (wie etwa Gewalt) vorlagen, die sofortiges Einschreiten gerechtfertigt hätten, erfuhr ich erst später. Auch dass das Jugendamt sich mit seinen Nachforschungen (ohne rechtliche Grundlage) über den Datenschutz gestellt hat, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar.
Als wir wieder draußen waren, vor dem Jugendamt, kreisten meine Gedanken gleich vor dem nächsten Scherbenhaufen: der Schule. Mein Gefühl der vergangenen Tage hatte mich nicht getrügt. Ganz deutlich hatte ich gemerkt, wie ich länger als sonst von einigen Horterzieher*innen angeguckt wurde.
Ob ich jemals rehabilitiert werden kann, weiß ich nicht.
Ich fühle mich beschämt und diskreditiert – bis heute. Bisher war ich eine engagierte Mutter in der Schule und im Hort. Doch nun würde ich am liebsten den Kopf einziehen. Die vormals so entspannten Tür-und-Angel-Gespräche finden nicht mehr statt. Ich meide, auch viele Monate nach dem Vorfall, den Ort, der ein wichtiger Lebens- und Lernort meines Kindes ist.
Die Kinderschutzmeldung ist beim Jugendamt vom Tisch, doch in meinem Alltag noch lange nicht. Wieder bin ich gefordert, eine Richtigstellung anzustoßen, will den mir angehefteten Eindruck, das Wohl meiner eigenen Kinder zu schädigen, ausräumen. Die entstandene Irritation muss ich selbst entkräften, um wieder Vertrauen herzustellen – dabei bin ich diejenige, die durch die ganze Sache selbst entkräftet ist.
Und meine Kinder? Um die geht es hier eigentlich und eigentlich auch nicht.
Ich merke, dass ich zumachen möchte, meine Kinder schützen möchte. Ich halte mein einjähriges Kind, das in die Hände klatscht und sich manchmal auch an die Wange patscht. Ich halte meine Große und wir kuscheln. Ich wurde verunsichert und die feinen Antennen meiner Kinder nehmen das wahr. Auch hier bin ich wieder gefordert für Stabilität zu sorgen. Und so ist es auch: im Grunde ist alles in Ordnung. Es gab eine Kinderschutzmeldung. Ich habe darauf reagiert und sie ist abgehakt. Doch in mir ist auch viel kaputt gegangen.
Immer wieder kreisen die Gedanken darum, wie die Beraterin zu ihrer Einschätzung gekommen ist, und welchen Anteil ich daran habe. Das Gefühl, etwas falsch beschrieben zu haben oder einfach falsch zu sein schleicht sich immer wieder nach oben. Gleichzeitig die tiefe Scham gegenüber der Schule, der Angriff auf die persönliche Integrität und das neues familiäre Label der „Kindeswohlgefährdung“.
Leitlinien und Arbeitshilfen zum Kinderschutz gibt es reichlich, jedoch keine einzige zum Thema Rehabilitation bei Fehleinschätzung (einzig bei der katholischen Kirche bin ich fündig geworden, doch da geht es um die Rehabilitation von Priestern, die zu Unrecht beschuldigt wurden).
Ich brauchte ein paar Tage um mich zu sammeln. Ich rief dann doch wieder bei einer Beratungsstelle an (bei der Ombudsstelle Jugendhilfe). Man hört mir zu, ist emphatisch, hilft. Ich soll mir beim Jugendamt eine Bescheinigung holen, dass keine Kindeswohlgefährdung vorliegt und damit ins Gespräch mit der Schule gehen. Wenn das Jugendamt für Irritation gesorgt hat, soll es diese damit auch wieder ausräumen.
Dann telefoniere ich doch am gleichen Tag mit der Lehrerin. Ich spreche die falsche Gefährdungseinschätzung an. Die Lehrerin sagt als erstes, als die Thematik an sie herangetragen wurde, dass sie aus allen Wolken gefallen sei. Klar, sie sei nicht bei den Familien zu Hause, doch sie kenne mein Kind, mich, die Oma und weder sie noch die Klassenerzieherin hätten daran gedacht, dass hinter der Meldung etwas sei. Sie wirkt mitfühlend, dass mir so etwas passiert ist. Ich merke wie meine Schultern nach unten sacken.
Auf telefonische Nachfrage bekomme ich sofort die Bescheinigung vom Jugendamt zugemailt. Es tue ihr Leid, sagt die Frau vom Jugendamt. Sie ist mitfühlend: „Kinderschutzverfahren beendet – eine Kindeswohlgefährdung ist auszuschließen“ steht auf dem Zettel. Ich spreche mit der Hortleitung, ich spreche mit der Direktorin, der Schulsekretärin und versuche mit der Bescheinigung die rufschädigende Wirkung auf die eigene Integrität wieder einzufangen und damit mein Kind vor möglicherweise unbewussten Übertragungsphänomenen, Labeling oder Halo-Effekten zu schützen (bei dem Halo-Effekt werden mit dem Wissen um ein Merkmal weitere Merkmale dazu gedichtet. Weiß man etwa um das Merkmal „schwierige Familienverhältnisse“, so wirkt sich das bewusst oder unbewusst auch auf den Umgang mit dem Kind aus).
Dass auf meine Bitte hin, alles über die Kinderschutzmeldung in der Schulakte meines Kindes zu löschen, nichts passiert ist und weiterhin die Begriffe Kinderschutz und Jugendamt auftauchten, ahnte ich zu dem Zeitpunkt nicht.
Und manchmal ist sie auch da, diese starke und schwere innere Wut. In meinen Gedanken werde ich gemein und verletzend gegenüber der Beraterin. Wie ein einzelner Mensch so viel anrichten kann, angeblich zum Wohle der Kinder. Während ich versuche aufzuräumen, erschöpft und entkräftet, geht ihr Alltag weiter – mit dem guten Gefühl zwei Kinder “gerettet” zu haben.
Auch zwei Jahre danach denke ich fast jeden Tag daran. Mein Mund wird trocken und ich habe das Gefühl, das Blut entweicht aus meinen Händen und Füßen. Nach ein paar Minuten ist der Zustand wieder vorbei und die Gedanken verdrängt, bis sie am nächsten Tag wieder da sind.
Von einer Anwältin in Familienrecht habe ich mir sagen lassen, dass Alleinerziehende von Söhnen die größte Schnittmenge für Hilfen zur Erziehung beim Jugendamt sind. Es ist nicht selten, dass alleinerziehende Mütter anders gelesen, bewertet und wahrgenommen werden. Mal sei die Mutter-Kind-Beziehung zu symbiotisch oder man spricht sogar von Parentifizierung, mal wird der Mutter eine psychische Erkrankung angedichtet, mal fällt auch ein unreflektierter Verdacht einer Kindeswohlgefährdung, mal sei sie zu überfürsorglich, mal zu unorganisiert, chaotisch, überfordert, egoistisch oder überengagiert, zu ehrgeizig oder perfektionistisch. Erfüllt man das Merkmal ´alleinerziehend´ und ´Frau´ bekommt die Diskriminierung eine neue Dimension.
Alleinerziehende Mütter bieten Angriffsflächen. Sie treten nicht als Eltern-Team, zu zweit auf, sondern sind eben allein und damit verwundbarer. Gerade nicht gut ausgebildete Fachkräfte können sich schnell zum Stellvertreter*in eines fehlenden Partners/Partnerin berufen fühlen. Alleinerziehende werden dann mit einem Mangel, einem fehlenden Part und etwas Defizitären assoziiert: „Wenn schon keine Partnerin oder kein Partner vorhanden ist, der oder die mit drauf schaut, dann müssen wir es besonders genau tun.“ Die Alleinerziehende wird durch eine besondere Brille betrachtet, ein Brennglas, das die Sicht nach rechts und links einschränkt, was auch als Diskriminierung wegen sozialer Herkunft bewertet werden kann.
Alleinerziehend sein ist eine besondere Herausforderung und oft nicht einfach. Viele Alleinerziehende sind erschöpft, müde, fühlen sich ausgelaugt und einige haben – andere Eltern auch – psychische Belastungen. „Ich bin ganz schön fertig gerade“ – diese Aussage kann von einer alleinerziehenden Mutter anders gehört werden als wenn sie von einer Mutter in fester Partnerschaft, möglicherweise mit einem hohen sozialökonomischen Status (den viele Alleinerziehende auch nicht haben) getroffen wird.
Nur: Bei einem Gefühl von Sorge, die Situation zu reflektieren, nachzufragen („brauchst du Unterstützung oder bist du versorgt?“) und adäquat darauf reagieren ist der Job von Fachkräften. Anzuklagen, scheinbar passende Details zum Puzzle einer überforderten, Burn-Out-gefährdeten alleinerziehenden Mutter zu sammeln, bis es in die eigene Denkschablone passt, ohne gründliche Analyse und Reflektion, ist fahrlässig.
Ich habe großes Glück gehabt, dass viele Beteiligte im Verfahren so gut ausgebildet sind und so reagiert haben. Es geht nicht immer so aus.
Erst drei Monate später, finde ich Kraft, mich noch einmal an die Ombudsstelle zu wenden, mit der Frage, ob alle hochsensiblen Daten über mich und meine Kinder in der Akte beim Jugendamt gelöscht werden können.Durch die Ombudsstelle Jugendhilfe erfahre ich, dass ich genau das beantragen kann. Es ist sogar mein Recht. Ich möchte das tun. Ich schreibe dem Jugendamt und auch nochmal der Direktorin der Schule mit dem Hinweis auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO, nach dem jeder Verantwortliche dazu verpflichtet ist, personenbezogene Daten zu löschen. wenn die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind.
Die Direktorin der Schule hatte ich ja schon vorher gebeten, die Eintragungen in den Schülerdokumenten zu löschen. Nur: eine Bitte ist offenbar nicht das gleiche wie auf die Rechtslage hinzuweisen und eine Antwort zu fordern, ob dies auch geschehen sei. Prompt kam die Antwort der Direktorin: „Sehr geehrte Frau…, ich habe die Unterlagen entfernt und geschreddert.“ Hätte ich das nicht explizit gefordert, würde die Schülerakte, mit Schülerbogen und weiteren sensiblen Daten die ganze Schulbiografie meines Kindes über weiter gereicht werden.
Auch das Jugendamt reagierte zeitnah auf meine Forderung nach Löschung der Kinderschutzmeldung und den Informationen über mich und meine Kinder. Erst wurden analoge Daten gelöscht. Später kam dann die Mail, dass es leider etwas gedauert habe, wegen der IT, aber nun auch die elektronische Akte gelöscht sei. Man hat sich also gekümmert. Diese Mails haben mich wieder viel Kraft und Überwindung gekostet und gleichzeitig stärkt mich das Wissen, dass ich das Recht habe und auch das Recht meiner Kinder gegen falsche Anschuldigungen stellvertretend wahrnehmen kann, soll und werde.
Es hat fast ein Jahr gedauert bis sich innerlich ein Korrektiv entwickeln konnte: Nicht ich habe etwas falsch gemacht, sondern verschiedene Akteure im System haben falsch agiert. Ich habe mich mit mehreren Fachmenschen zu der Thematik ausgetauscht. Ich habe mit einem Experten, der Fehleranalysen im Kinderschutzverfahren anbietet, dazu gesprochen. Er hat mir erzählt, dass dies leider kein trauriger Einzelfall ist. Auch das Jugendamt hat mir gegenüber bestätigt, dass so etwas öfter mal vorkäme. Irrtümer also, die für die Professionellen vielleicht zum Tagesgeschäft gehören, für Eltern aber zum Trauma werden können. Der Experte erzählt mir von den Widerständen der Jugendämter und der großen Wohlfahrtsverbände, dieses Thema proaktiv, engagiert, offen und selbstkritisch anzugehen. Allzu kritische Artikel würden in Fachzeitschriften der Sozialen Arbeit nicht veröffentlicht. Und die Eltern? Die sind froh, noch einmal davon gekommen zu sein und wollen nichts mehr mit dem Jugendamt zu tun zu haben. Oder sie gehen in Scheinkooperationen und willigen in eine Familienhilfe ein, für die die Begleitung der Familie eine entspannte Arbeit ist, weil die Familie ihre ganze Kraft in die Unauffälligkeit steckt, um nicht irgendwie in irgendeiner Art Zweifel zu nähren.
Ich bin vorsichtig geworden. Ich weiß, dass ich unter Müttern ganz anders rede bzw. reden kann und ich beobachte die Wortwahl anderer Mütter, die ebenfalls Äußerungen und Redensarten benutzen, die man im Kinderschutzkontext völlig anders deuten könnte, obwohl sie nicht so gemeint sind, was man am Tonfall, der Situation, Mimik und Gestik erkennen kann.
Es gibt einen Unterschied zwischen Risikofaktoren und gewichtigen Anhaltspunkten.
Man kennt die Schlagzeilen: Kevin in der Gefriertruhe, Mädchen aus dem Fenster geschmissen – es ist ein unfassbares Leid. Warum es trotz klarer Leitlinien, Kinderschutzbögen, Kinderschutzbeauftragten, trotz des Mottos „Hilfe vor Meldung“ zu diesen Fehleinschätzungen kommt, zeigt, wie sehr durch Ängste und Druck Kollateralschäden in Kauf genommen werden. Wie etwa der:
Eine alleinziehende Mutter mit Zwillingen bekommt eine Haushaltshilfe bewilligt. Sie ist zufrieden, dann kommt es zu einem Wechsel der Haushaltshilfe. Die neue bewertet diese alleinerziehende Mutter als überfürsorglich, weil sie sich nicht traut, die Zwillinge in einen Hochstuhl zu setzen, weil er umkippen könnte. Sie alarmiert ihre Vorgesetzte und es kommt zu einer 8a-Meldung beim Jugendamt, die dort wieder im Sande verläuft, aber die ohnehin schon belastete Mutter traumatisiert und ihr Vertrauen in ein Hilfesystem erschüttert, so wie auch ich es erlebt habe.
Der ganze Prozess hat mir viele Energien entzogen und das Ohnmachtsgefühl wirkt immer noch nach, jeden Tag. Was soll ich tun, um mich besser zu fühlen, wie kann ich mich empowern? Einen Haken machen und gucken wie es sich in zwei Monaten anfühlt? Mich bei der Beratungsorganisation beschweren mit dem Risiko, dass es wieder auf mich zurückfällt, dass das Kinderschutzzentrum in Widerstand geht und nicht anerkennt, welche Fehler gemacht wurden und dass emotionale Schäden verursacht wurden?
Ich entscheide mich für diesen anonymen Artikel, in der Hoffnung mit jedem Wort auch etwas Last weg zu schreiben. Gleichzeitig möchte ich zu einem Trialog aufrufen. Eltern, denen so etwas wie mir passiert ist und Fachkräfte (nicht die unmittelbar beteiligten) sowie Experten*innen für Fehleranalysen und Moderation in diesem Bereich sollten zusammenkommen und mit einem neuen kritischen Blick diese Perspektive in ihre Arbeit tragen.
Wenn schon kein „Entschuldigung“ – eine Anerkennung für das emotionale Leid der Familien sollte das Minimum sein.
Anna S.
2 Kommentare

Rabea
Danke für diesen Beitrag, Anna S., und für die Plattform, Herr Renz-Polster!
Ich muss sagen, dass ich die Autorin “kenne” – wir beide sind uns vor einiger Zeit online begegnet und durch unsere ähnlichen Erfahrungen in Kontakt geblieben.
Auch ich bin alleinerziehend und habe erlebt, wie eine Idee von “Überfürsorglichkeit” und “Symbiose” zu institutionellem Machtmissbrauch und emotionaler Gewalt führte. Es ging um eine stationäre KJP-Behandlung meines Kindes mit einer Anorexia nervosa. In dieser Behandlung entstanden ernsthafte Fehler, die die Behandlung mehrfach ins Wanken brachten und damit die Gesundheit meiner Tochter gefährdeten. Das waren teils ganz simple Flüchtigkeits- und Rechenfehler beim BMI und Energiebedarf, die man durch gemeinsames Draufgucken leicht hätte klären können. Meine Bedenken und Einwände wurden aber erst nachträglich gehört, nachdem ich lange gebohrt und die Unterstützung einer Ombudsstelle eingeholt hatte. Erst dann gab es eine – sehr aufrichtig und bestürzt wirkende – Entschuldigung des Klinikleiters, der sich nicht erklären konnte, wie “sowas” in seiner KJP hatte passieren können. In seinen Worten ist “etwas in der Gegenübertragung schief gelaufen.”
Für meine Tochter war der KJP-Aufenthalt ganz okay. Sie ist an der Stelle “ausgestiegen”, wo man ihr unterstellte, sie könne nicht eigenständig denken, sondern übernehme “1:1 die Vorstellungen der Mutter”, was sie beleidigte. Und mich irritierte, weil es gar keine Gespräche über meine “Vorstellungen” gegeben hatte.
Interessant ist, dass es genauso wie bei Anna S. für die auf mich bezogene “Überfürsorglichkeit” oder die “symbiotische” Mutter-Tochter-Beziehung keine Beobachtungs- oder Theoriegrundlage gab. Zumindest keine, die man verständlich in Worte hätte fassen können. Als ich die Therapeutin bat, mir zu erklären, was sie mit “Symbiose” meine, sagte sie: “Wenn Sie zuviel tun, kann ihre Tochter nur SO machen”, fasste sich bei “SO” an den Hals und machte ein Erstick-Geräusch. Es blieb drei Monate lang bei einer Hypothese, die sich durch Akteneinträge der pädagogischen Mitarbeiter zu “bestätigen” schien. Schaut man genauer hin, sind die Akteneinträge aber keine Beobachtungen, sondern Interpretationen. Dennoch fand die “Überfürsorglichkeit” und die “Symbiose” Eingang in den Arztbrief und ich bin sehr froh, für meine Tochter eine ambulante Therapeutin gefunden zu haben, die den gar nicht erst las und sich ein eigenes Bild machte. Da hat die Zusammenarbeit im Dreierteam (Mutter, Tochter, Therapeutin) dann auch geklappt und es geht meiner Tochter heute gut.
Warum ich das so ausführlich schreibe? Weil ich jetzt weiß, wie sich Soziale Arbeit / Pädagogik / Psychiatrie aus der Betroffenenperspektive anfühlen kann und wie lange die Ohnmacht solcher kafkaesken Erfahrungen nachwirken kann.
Das Konzept der “Überfürsorglichkeit” ist meines Erachtens genauso wie “PAS”, “Symbiose” oder “Entwicklungsretardierung im frühkindlichen Narzissmus” leider zu gut geeignet, zu vernebeln, wenn Fachkräfte an ihre Grenzen kommen, und sei es nur aus personellen oder organisatorischen Gründen. Als Betroffene zweifelt man vielleicht an seinem Verstand, weil das so “wissenschaftlich” klingt, und die Fachleute haben sich ja sicher was dabei gedacht. Hat man sich selbst durchleuchtet und ist einen Schritt weitergekommen, muss man es erstmal schaffen, das Gegenüber davon zu überzeugen, dass seine Hypothese falsch ist (in dubio contra reum) – das geht aber kaum, wenn die so schwammig ist und in ihrer Logik auf sich selbst beruht. Denn: Wäre die Mutter nicht überfürsorglich, würde sie die Fachkräfte ja einfach mal ihren Job machen lassen und sich nicht ständig einmischen, oder?
Sowas kann man in einer verletzlichen Lebenssituation kaum brauchen.
Damit will ich nicht sagen, dass es sowas wie “Überfürsorglichkeit” nicht geben kann. Sicher gibt es traumatisierte Eltern, die große Angst um ihre Kinder haben, oder Krisenreaktionen, die sich vom normalen Alltag unterscheiden. Das sollte man dann aber auch lieber so benennen, konkret operationalisieren, und nicht unter eine Pseudo-Diagnose stülpen. Vielleicht hätten ein paar hundert Kinder und Eltern in diesem Land dann tatsächlich ein paar Probleme weniger und Lösungen würden greifbarer.
Anna S., ich wünsche dir den Mut, mit deiner Geschichte auf die Beratungsorganisation noch einmal zuzugehen. Und der Beratungsorganisation wünsche ich eine gute Fehlerkultur.
j
Danke für diesen Beitrag. Alleine zu wissen, dass es solche Ombudsstellen gibt, hilft sicher vielen. Ich bin gottseidank nicht betroffen (und hoffentlich bleibt das so). Aber ich werde vielleicht eines Tages jemand davon erzählen und dann hilft es weiter.
Mir schießt durch den Kopf, dass überall, wo Menschen sind, auch Fehler passieren. Und dann kommt die furchtbare Situation der Jugendhilfe mit zu vielen Fällen und Projektfinanzierung dazu. Das macht guten Umgang mit Fehleinschätzungen noch schwieriger.
Ich nehme mir vor, mich in konkreten Wertschätzungen zu üben, da wo ich dankbar bin und die Kita oder weitere Stellen sich hilfreich verhalten. Und dann auch vorsichtig, aber nachdrücklich nachzufragen, wenn mir etwas zweifelhaft erscheint. Und immer wieder auch zu fragen, wie wir als Eltern die Fachkräfte unterstützen können. In der Hoffnung, dass dadurch auch Kinder aus schwierigen Situationen profitieren, deren Eltern sich gerade mit ganz anderen Problemen auseinandersetzen. Und ich nehme mir vor, gut zuzuhören, wenn sich ein Elternteil Stress von der Seele redet. Im ersten Schritt würde ich auch das versuchen, wenn ich mir um ein Kind Sorgen mache. Und im Zweifel würde ich mich beim Hilfetelefon informieren, was nun Möglichkeiten sind. Ohne Namen zu nennen erst mal.