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Kommentar16. Dezember 2025

Sind Schlaftrainings also doch okay?

Ein Kommentar zu dem Artikel „Wie mein Kind schlafen lernte“ von Anna Mayr in der Zeit am Wochenende vom 13.12.2025

Das vorweg: Schlafprobleme können die Hölle sein, und dass Eltern da nach jedem Schlupfloch suchen, ist absolut verständlich. Und: Schlafprobleme sind auch dort ein riesiges Thema, wo Eltern ihre Babys „sanft“ begleiten, und niemals schreien lassen wollen. Also: Die Debatte rund um den „guten Schlaf“ der Säuglinge und Kleinkinder ist wichtig und richtig. Was wir nicht brauchen, sind falsche Behauptungen und Unterstellungen. Ich will kurz zusammenfassen, was mich an dem Artikel stört (was ich an ihm schätze sage ich ganz am Schluss).

Liest man den Beitrag , so erscheint die Ferber-Methode („kontrolliertes Schreienlassen“, hierzulande bekannt aus „Jedes Kind kann schlafen lernen“) als etwas ungeheuer Effektives, ja, eine Art Wundermittel. Das Baby weint ein paar Minuten – dann hat es den Trick verstanden und schläft von nun an problemlos ein.

Nur: Das ist eine Art Greenwashing, es schafft falsche Erwartungen, denn sehr häufig sehen Schlaftrainings ganz anders aus, und davon ist auch Richard Ferber in „solve your child´s sleep problems“ und Frau Kast-Zahn in „Jedes Kind kann schlafen lernen“ ausgegangen. Etwa, wenn sie beschreiben, dass Babys dann auch so verzweifelt weinen, dass sie sich erbrechen. Die Antwort Ferbers:

„In diesem Fall sollten die Eltern die Sauerei schnell wegputzen und dann das Zimmer verlassen und mit dem Schlaftraining fortfahren.“

Die Antwort von Frau Kast-Zahn: ebenso (man müsse damit „sachlich und ruhig umgehen“.

Und ja, dieses Buch wird nun, im Jahr 2025, den Eltern wieder ans Herz gelegt. Ein Buch, in dem es übrigens von falschen und für die Eltern extrem verunsichernden Informationen nur so wimmelt – etwa, dass Babys „ab sechs Monaten“ 10 oder sogar 11 Stunden ohne Pause durchschlafen würden.

Also: Die Autorin mag Ferbers Buch genau gelesen haben, aber was sie ihren Leser:innen vermittelt, ist ein Bild der Ferber-Methode, das so nicht stimmt, weil es nicht repräsentativ ist. Tatsächlich berichten Eltern eben auch von genau der gegenteiligen Erfahrung und schlimmen Kampfbeziehungen, die sich daraus entwickelt haben, und ich finde, das hätte in dem Artikel eben auch Erwähnung finden müssen).

Ich störe mich auch an dem Stil. Es scheint derzeit eine Art Welle an Kritik am bindungsorientierten Umgang mit Kindern zu geben, und ich habe damit kein Problem, solange sie sachlich und wissenschaftlich fundiert ist, ich beteilige mich selbst daran . Was aber nicht zur Sache gehört, sind pauschale Vorwürfe a la „die Schlafberaterinnen auf Instagram reden Eltern ein, sie selbst müssten leiden, um psychisch gesunde Kinder zu haben“. Oder: die wissen doch gar nicht, von was sie reden („Alle haben eine Meinung, nur hat leider keiner das Buch gelesen, um das es geht“). Oder: Das ganze Konzept beruhe in Wirklichkeit doch auf einem Missverständnis der Wissenschaft.

Natürlich ist die Kritik an Bowlby berechtigt, aber man kann doch nicht das Konzept des menschlichen Bindungssystems in Frage stellen, nur weil man Kritik an Arbeiten von einem ihrer Pioniere hat! Ich will hier noch einmal sagen: bei aller berechtigter und wichtiger Kritik an manchen seiner Arbeiten (ich teile sie): John Bowlby hat für uns alle unglaublich wichtige Vorarbeiten geleistet. Er war es, der damals seine Kolleg:innen (und die Gesellschaft insgesamt) etwa darauf hingewiesen hat, dass es nicht okay ist, Babys und kleine Kinder einfach im Krankenhaus abzugeben. Dass es nicht okay ist, Mama und Baby nach der Geburt einfach zu trennen.

Ich finde es irgendwie gemein, wenn jetzt Ausschnitte aus Bowlbys Werk verwendet werden, um das Konzept der menschlichen Bindung zu diskreditieren, für mich ist das, wie wenn man das Konzept von Demokratie für ungültig erklärt, nur weil dessen Pioniere manche wichtige Dinge noch nicht im Auge hatten (wie etwa das Frauenwahlrecht). Ich bitte wirklich, hier nicht „blind“ zu werden oder das Kind mit dem Bad auszuschütten:

Das Konzept, dass Kinder verlässliche und vertrauenswürdige Beziehungen zu den Menschen brauchen, von denen sie abhängig sind, ist keine Erfindung, sondern grundlegender Teil unserer biologischen Verfasstheit.

Natürlich, wir müssen und dürfen darüber diskutieren, was das für die praktische Ausgestaltung im Alltag bedeutet, und jede Kultur tut das beständig und findet andere – und immer wieder neue -Antworten. Nur, wir brauchen dabei keine Fehlinformationen, Vorurteile, falschen Vorwürfe und Unterstellungen. Und ja, ich ärgere mich besonders, wenn mir dieser Stil in einem „Qualitätsblatt“ begegnet, das ich eigentlich sehr schätze, das will ich auch sagen.

Bleiben wir aber noch bei der Wissenschaft. Die Autorin suggeriert, die Ferber-Methode sei aus wissenschaftlicher Sicht unbedenklich, denn es gäbe keine Studien, die einen schädlichen Effekt auf die kindliche Entwicklung belegen. Und ja, das stimmt, diese Langzeit-Studien gibt es nicht, da hat Nora Imlau Recht, die Frau Mayr hier zitiert. – Nur, heißt das denn, dass die Ferber-Methode aus wissenschaftlicher Sicht „okay“ ist? Dazu muss man doch auch berücksichtigen, dass dieser Nachweis methodisch gar nicht möglich ist, weil sich saubere Vergleichsgruppen im echten Leben gar nicht bilden lassen (daran sind auch die wenigen Studien gescheitert, die sich daran versucht haben, ich gehe darauf an anderer Stelle ein .

Also: Wir können uns die Entscheidung für oder gegen Schlaftrainings nicht von „der Wissenschaft“ abnehmen lassen, auch das gehört doch zu einem vollständigen Bild. Und die Autorin führt an anderen Stellen dann ja auch aus, wie entscheidend die persönliche Haltung in diesen Fragen ist – etwa, wenn sie feststellt, dass zur Ferber-Methode eben auch gehört, dass man Kinder, die schon laufen können, dann entweder in einem Gitterbett oder im Zimmer einsperren muss – etwas, was sie für sich selbst ablehnt. Und sie sagt damit doch genau das: Wie wir Kinder behandeln, schauen wir uns nicht in wissenschaftlichen Journalen ab, sondern das ergibt sich aus dem, was für uns stimmig ist. Wir würden auch nicht wieder anfangen, Kinder körperlich zu bestrafen, nur weil Wissenschaftler aufgrund ihrer Daten dafür eine Unbedenklichkeitserklärung abgeben, oder?

Um aber zum Schluss und damit wieder zu der Autorin dieses Artikels zu kommen: Meine Aussage im letzten Absatz stimmt nur bedingt. Nämlich, dass wir unsere Babys und Kinder so behandeln „wie es für uns stimmig ist“. Wir behandeln sie nämlich keineswegs nur wie es für uns stimmig ist, wir behandeln sie auch so, wie es unser „kultureller Rahmen“ vorgibt, wie „die ExpertInnen“ über Kinder denken, und vor allem: Wir behandeln unsere Kinder oft auch aus unserer persönlichen Not heraus, und da folge ich der Autorin absolut: weil wir überfordert sind, weil wir mit dem Rücken zur Wand stehen, weil wir unser Leben anders einfach nicht packen. Jede(r) von uns ist in dieser Situation, ob bewusst oder unbewusst.

Wir leben ja tatsächlich in einer „unmöglichen“ Situation was die Fürsorge für unsere Kinder angeht, wir „struggeln“, wie wir heute sagen – und wir ziehen die Kinder da mit rein. Dass wir daran dann rosa Schleifchen hängen oder eine „wissenschaftliche“ Begründung, das ist vielleicht unvermeidlich, wir sind ja immer auch unter Rechtfertigungsdruck den anderen gegenüber. Und uns selbst gegenüber vielleicht auch.

War das frühe Sauberkeitstraining für die Eltern früher eine Gemeinheit den Kindern gegenüber? Nein, es war „the way to go“, wie das Schlaftraining heute für Eltern der US-amerikanischen Mittelschicht ist. Und ist der Umgang mit den Kindern in den bindungsorientierten Elternschaftskulturen immer gut für die Kinder, für ihre Entwicklung? Ich bezweifle das, wir haben genug Probleme, denn auch hier versuchen sich Eltern oft an etwas, was ihre Kräfte übersteigt. Ist einfach so. Und das gilt auch für den Schlaf. Gibt es in der bindungsorientierten Community etwa keine Missverständnisse des kindlichen Schlafverhaltens? Durchaus, ich habe dazu vor wenigen Wochen einen Beitrag geschrieben

Und damit schließt sich der Kreis. Das Gute ist: wir können darüber reden. Und wir sollten es auch. Aber wir sollten es respektvoll tun, auf beiden Seiten. Eltern, die in Not sind, sind keine Monster, sie sind in Not. Sie suchen nach Lösungen. Mehr ist nicht im Angebot. Ich wünsche mir, dass wir das anerkennen und im Gespräch bleiben. Und deshalb danke ich Frau Mayr auch ganz herzlich für diesen offenen und persönlichen Artikel.


Die Debatte um Schlaftrainings zeigt vor allem eines: Wie sehr uns Eltern das Thema Schlaf fordert und oft an unsere Grenzen bringt. Doch jenseits von starren Methoden gibt es Wege, den Kinderschlaf besser zu verstehen und im Alltag Erleichterung zu finden.

Ich lade Dich herzlich ein, diese Fragen gemeinsam zu vertiefen:

Müde bin ich, geh zur Ruh?

Den Baby- und Kleinkindschlaf verstehen

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Dieser Beitrag beruht auf dem Buch des Kinderarztes und Wissenschaftlers Dr. Herbert Renz-Polster: „Schlaf gut, Baby! Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten" (zusammen mit Nora Imlau). Es stellt dar, wie Eltern ihre kleinen Kinder (von 0 bis 6 Jahren) bei dem Dauerthema Schlaf unterstützen und begleiten können, ohne dass daraus Kampf und Krampf entstehen.
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3 Kommentare

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  • Edi

    Habe drei Kinder. Schlafen war nie ein Problem, weil wir es ganz pragmatisch gehandhabt haben. Die Kinder haben sehr lange im Beistellbett (später in einem größeren) geschlafen und es waren immer ruhige Nächte. Klar, Babys müssen nachts gefüttert oder gestillt werden, aber nach spätestens 1 Jahr ist das dann auch vorbei. Wir hatten immer eine Thermoskanne mit exakt richtig temperierten Wasser neben dem Bett stehen und schon fertig mit Pulver befüllte Fläschen. Das kann man alles im Dunkeln anrühren und dem Baby ins Bett geben. Die Babys nuckeln sich dann wieder in den Schlaf und man selbst schläft auch wieder sofort ein. Stillen kann man dann tagsüber. So kommt jeder zu seinem Schlaf. Kleinkinder möchten nur keinesfalls alleine schlafen. Die kleineren Geschwister haben wir zeitweise bei den größeren übernachten lassen (auf dem Ausziehgästebett) auch wenn sie schon ihr eigenes Zimmer mit eigenem Bett hatten. Das gemeinsame Schlafen in einem Zimmer hat sogar den größeren Geschwistern auch gefallen. Erst, wenn das Kind selbst den Wunsch nach dem Schlafen im eigenen Zimmer geäußert hat, haben wir das dann so gemacht. Meist war das mit 4-5 Jahren soweit. Alle drei Kinder sind ausgeglichene, fröhliche und selbstbewusste Kinder geworden. Es ist wichtig, Babys nicht durch ein straffes Schlaftraining zu traumatisieren

    • James

      Liebe(r) Edi, danke! Wir meinten schon, wir sind da die Ausnahme, dass es nicht schon vor der Geburt ein eigenes Babyzimmer sein muss. Es ist einfach schön, nicht alleine zu schlafen – ist das so falsch? Ein bisschen wie dieses ‘Nicht hochheben, das Kind, lass es weinen, sonst gewöhnt es sich daran!’ Vielleicht sollte jede und jeder mal ganz ehrlich bei sich, in sich nachschauen, warum es all diesen ‘Selbstständigkeitsstrategien’ gibt. Herzliche Grüße, James

  • Lisa

    Ich muss versuchen mich hier möglichst sachlich zu fassen. Im Jahr 2025 machen wir uns über das dumme Mittelalter lustig und was da so üblich war. Und dann schaut man sich hier das Schlaftraining an und dann wird klar, die Menschheit ist noch genauso dumm, genauso unfähig sich von gesellschaftlichen Normen zu lösen. Dabei wäre es so einfach, wenn man ins Tierreich sehen würde, zu unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen oder sogar zu Naturvölkern, um zu erkennen, was von Natur aus richtig ist. Aber es ist wohl Arroganz, denn der Mensch ist ja die Krone der Schöpfung und keinesfalls ein primitiver Naturmensch. Kinder brauchen Sicherheit und vor allem nachts.