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Kommentar8. Dezember 2022

Hurrah, Infekte! Die stärken das Immunsystem !

Jeden Winter dasselbe – es geht voll ab an der Infektionsfront. Kaum ein Kind das nicht schnieft, fiebert, hustet oder Durchfall hat. Dieses Jahr ist es noch schlimmer. Fast alle Kinder machen mit, in Endlosschleife. Was ist da nur los? Und vor allem: Hat das nicht wenigestens sein Gutes – nämlich, dass die Kinder ihr Immunsystem stärken?

Tatsächlich gehört diese Erzählung zum Buch der Eltern seit Eltern mit wissenschaftlichen Erkenntnissen traktiert werden: Ja, es ist lästig, dass die Kleinen so oft krank sind. Aber damit bauen sie ihr Immunsystem auf. Sie gehen gestärkt aus diesen lästigen Infekten hervor. Schliesslich sei das Immunsystem der Kleinen noch am Aufbau und müsse „trainieren“ damit es reif und kompetent wird. Viren seien dafür die idealen Sparringpartner.

Wie sehr diese Geschichte auch etwa bei Kinderärzten verfängt, zeigt ein Kollege, Dr. Ralf van Heek, immerhin Landesverbandsvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Der erklärte dem Landtag Schleswig-Holstein bei dessen Corona-Anhörung am 3.11.22 allen Ernstes das: Infektionsschutzmaßnahmen seien schädlich für Kinder und Jugendliche. Denn: Wenn die „Auseinandersetzung mit Infektionskrankheiten“ unterbliebe, entwickele sich das Immunsystem in eine falsche Richtung. Und das führt zu Krankheiten – nämlich „Allergien, Leukämie, Diabetes.

Die Latte könnte kaum höher liegen. Müssen Kinder sich regelmäßig mit Viren abplagen um sich Krebs und Diabetes vom Leib zu halten?

Da geht vieles durcheinander

Fangen wir vielleicht mit dem Offensichtlichen an. Wie entstehen Infekte bei den Kindern? Und was sorgt dafür, dass sie eher häufig – oder eher selten – auftreten?

Man kann das so zusammenfassen: Ansteckungen mit einem bestimmten Keim sind umso häufiger

… je mehr empfängliche Kinder sich begegnen.

… je mehr bereits angesteckte Kinder darunter gemischt sind

… je enger diese Kinder dann miteinander zu tun haben, und:

… je mehr sie das drinnen tun. Schliesslich sind die Kinder drinnen näher beieinander, am Spielzeug klebt so manches Sekret, es ist gut geheizt, die Schleimhäute entsprechend gestresst und wenig widerstandsfähig.  Alles Faktoren, die eine Ansteckung befördern.

Kein Wunder häufen sich also Infekte vor allem in den Herbst und Wintermonaten. Und das vor allem in Krippen und Kitas. Letztere sind aus Sicht der Viren das praktisch perfekte Party-Setting: Kleine Kinder, die gerne miteinander kuscheln und Spielsachen austauschen, eng gepackt, viele von ihnen bisher von Infekten verschont, und irgendwo in dem ganzen Bild hängt immer ein infiziertes Kind in den Seilen…  Getoppt wird dieses Setting eigentlich nur von der Kinderarztpraxis um die Ecke.

Das ist der Grund, warum der Krippenbeginn eines einjährigen Kindes im Spätherbst aus infektiologischer Sicht sozusagen  die Höchststrafe ist: Der Nestschutz des Kindes ist ausgelaufen, (dieser Schutz beruht vor allem auf den Antikörpern, die das Kind noch in der Schwangerschaft von seiner Mutter übertragen bekommen hat, er ist etwa 6 bis 9 Monate lang wirksam), das Kind ist meist abgestillt (auch beim Stillen werden schützende Antikörper übertragen, weshalb viele Infektionen bei gestillten Kinder milder verlaufen) –  das Kind betritt also die Arena ohne Rüstung, und die ist gut mit Viren gefüllt…

Wie viele Infekte sind normal?

Kein Wunder reiht sich jetzt also Infekt an Infekt, Kinderärzte rechnen für die Kleinen mit mindestens einem Dutzend Infektionskrankheiten im Jahr. Allerdings sind solche Angaben wenig tauglich, da sie von Kind zu Kind extrem schwanken – die Einflussfaktoren siehe oben. Die Infekthäufigkeit geht zum Beispiel steil nach oben, wenn ein Kind in die Krippe geht, Geschwisterkinder hat, und auch wenn die Eltern in entsprechendenden Berufen arbeiten (Gesundheitswesen, Pädagogik, insbesondere Erzieherinnen). Tatsächlich haben manche Kleinkinder nicht ein Dutzend sondern Dutzende von Infekten pro Jahr.

Und jetzt in der Pandemie? Kommt noch ein Zacken dazu – ein Riesen-Zacken. Der beginnt schon beim Nestschutz. Während früher die Mütter von jedem Infekt, den sie während der Schwangerschaft durchgemacht hatten, auch eine gewisse Dosis an Antikörpern an ihr Kind weitergegeben haben, herrscht jetzt Nestschutz-Flaute – die Mütter hatten ja kaum Kontakt mit Krankheitserregern. Kein Wunder läuft jetzt bei Eltern und Säuglingen oft gemeinsam die Nase. Meine Enkelkinder etwa hatten in den letzten zwei Jahren bestimmt schon mehr Infekte als ich und meine Geschwister in der ganzen Kindheit zusammengenommen. Gefühlt zumindest, man leidet als Großeltern ja mit.

Das Krankenbett als Trainingslager?

Haben die von vielen Infekten geplagten Kinder deshalb wenigstens später dann ein besseres Immunsystem? Also eines das ihnen hilft zum Beispiel gegen „Allergien, Leukämie, Diabetes“ gerüstet zu sein?

Hier wären wir also bei der eigentlichen Frage. Und wenn man die Aufgaben des Immunsystems bedenkt, ist diese Frage nicht trivial. Schliesslich muss ein „gutes“ Immunsystem tatsächlich einen fast schon paradoxen Job machen: Es muss einerseits Krankheitserreger abwehren, also den Körper vor gefährlichen Eindringlingen schützen… Andererseits aber muss es die ungefährlichen Bestandteile der Umwelt vornehm ignorieren, wie etwa Blütenpollen oder den Speichel von Hauskatzen. Dass diese Unterscheidung heute nicht immer gelingt, zeigen die allergischen Erkrankungen, mit denen etwa ein Fünftel der Kinder im Lauf ihrer Kindheit zu tun haben – Neurodermitis etwa, oder Asthma, oder Heuschnupfen, oder Nahrungsmittelallergien.

Und natürlich muss das Immunsystem auch die Körperzellen ständig überprüfen und auffällige Zellen entfernen. Auch bei dieser Überwachung darf es keinen Fehler machen und etwa gesunde körpereigene Strukturen als „gefährlich“ einschätzen und dann gegen diese vorgehen. Etwa gegen die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse – denn so entstehen Autoimmunerkrankungen (in diesem Falle der Typ 1 Diabetes, der seit Jahrzehnten unter Kindern jedes Jahr um etwa 3% zunimmt).

Kurz: das Immunsystem ist eine Art Schweizer Multifunktionsmesser, und seine Instrumente müssen ständig geschärft werden. Und wie wir am Beispiel der Allergien und der Autoimmunerkrankungen sehen, klappt das heute nicht immer wirklich gut (und das hat sich leider auch nicht geändert seit immer mehr kleine Kinder in eine Krippe gehen).

Die Rolle der Infekte

Diese beständige Schärfung und Optimierung des Immunsystems – ist das nicht genau das, was bei Infekten passiert? Diese Vermutung wurde zuerst Ende der 1980er Jahren geäußert als der Britische Statistiker David Strachan seine Analyse über Allergien und Haushaltsgröße veröffentlichte. Er stellte fest: mit jedem zusätzlichen Geschwisterkind, das in eine Familie geboren wird, wird das Risiko des Kindes geringer, eine allergische Erkrankung wie Asthma zu entwickeln!

Ein Einfluss, der dann schnell als möglicher Schutzfaktor diskutiert wurde: die in größeren Familien häufiger auftretenden Infekte! Das erschien umso plausibler als wenig später die ersten Vergleiche zwischen der ehemaligen DDR und der BRD vorlagen: In der DDR hatten die Kinder weniger allergische Erkrankungen. Schnell war man auch da dann bei den Infekten – schließlich wurden die Kinder in der DDR, anders als damals in der BRD, schon früh in Krippen betreut.

Der Aufbau von Immunkompetenz ist viel komplexer

Inzwischen sind seit Stachan´s Formulierung seiner „Hygiene“-Hypothese 40 Jahre vergangen. In dieser Zeit wurde nicht nur das Immunsystem mit neuen Techniken besser verstanden, sondern auch Befunde eingesammelt, die immer mehr Zweifel an der angeblich immunstärkenden Rolle der Infekte begründeten – und daraus ein neues, komplexeres „Entwicklungsmodell“ des Immunsystems ausgearbeitet.

Wie kompetent ein Immunsystem später arbeitet, hängt tatsächlich von tausenden von Einflüssen ab, die teils schon im Mutterleib wirken, wo dem Fetus dosiert auch bestimmte Keime aus seiner belebten Umwelt (genauer: dem Mikrobiom seiner Mutter) „präsentiert“ werden (auch das Bild der „sterilen“ Schwangerschaft ist also inzwischen Vergangenheit).

Und das geht dann weiter unter der Geburt, bei der das Kind eine erste Keimauswahl von seiner Mutter übernimmt (die sich dann zum Beispiel je nach Geburtsmodus unterscheidet), und dann eintaucht in den täglichen Austausch von Milliarden von Mikroben aus seiner unbelebten und belebten Umwelt, zu der etwa die aufgenommene Milch gehören, aber auch das Mikrobiom seiner Eltern, Geschwister, und und und. Schon nach den ersten Lebenstagen sind über 95% der Zellen des Menschen dann tatsächlich nicht mehr menschlichen, sondern mikrobiellen Ursprungs – sie bestehen also aus Bakterien, Viren, Pilzen und Protozoen, die meisten dieser Spezies leben im Darm, hunderte von vor allem Viren-Spezies leben aber auch in unseren Körperzellen, wo sie über weite Strecken inaktiv sind, aber unter bestimmten Bedingungen auch wieder aktiv werden können, und damit auch Krankheiten auslösen können (ein solcher Prozess ist inzwischen zum Beispiel für die Multiple Sklerose nachgewiesen, bei der anscheinend aus früheren Infektionen stammende Epstein-Barr-Viren im Körper aktiv werden und eine Fehlreaktion des  Immunsystems auslösen; ein ähnlicher Prozess könnte auch bei der Entstehung von Long Covid eine Rolle spielen). Ja, ein Teil dieses körpereigenen Mikrobioms ist sogar Teil unserer evolutionären Erbsubstanz – wie etwa die HERVs (humane endogene Retroviren), die ebenfalls unter bestimmten Bedingungen – und oft zusammen mit anderen zuvor latent schlummernden Viren – auf einmal wieder ihr Haupt erheben und unseren Körper von innen heraus eine Zeitlang mit Retroviren überschwemmen (was genau dieser Gruß aus unserer evolutionären Vergangenheit für die Entstehung bestimmter Krankheiten bedeutet, ist eine unglaublich spannende Geschichte, aus der sogar schon erste therapeutische Ansätze hervorgegangen sind – etwa Medikamente gegen Multiple Sklerose – und tatsächlich ist diese Geschichte jetzt auch wieder bei LongCovid aktuell. Und dieser ganze Globus an Mikroben (unser endogenes Mikrobiom) steht in beständigem Austausch nicht nur mit unserem Immunsystem, sondern auch mit der Umwelt in der wir leben…

Kurz, das zeigt schon dieser lange Absatz ohne Punkt und Komma, wir Menschen sind eigentlich ein ziemlich vielfältiges Ökosystem, bei dem viele Rädchen ineinander greifen, innere und äußere.

 

Zurück zu den Krankheitserregern

Und die Begegnungen mit Krankheitserregern? Die machen im Vergleich zu dieser Vielfalt nur einen winzig kleinen Teil aus. Schneeflocken auf der Spitze des Mikroben-Eisbergs sozusagen. Aber natürlich spielen auch sie eine Rolle. Allerdings eine begrenzte, spezifische Rolle (und leider, wie wir schon oben am Beispiel des Epstein-Barr-Virus – Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers – gesehen haben, auch nicht immer eine positive Rolle, kein Wunder gehört die Impfung gegen EBV zu den am sehnlichsten erwarteten Entwicklungen in der Medizin!).

Begrenzte Rolle, das heisst: ein Immunsystem wird nicht generell in seinen vielfältigen Funktionen umso kompetenter, je mehr Infekte es durchmacht. Auch ein Kind, das selten krank ist, kann ein zu 100% funktionierendes Immunsystem entwickeln. Evolutionsbiologen nehmen zum Beispiel an, dass in den relativ abgeschlossenen Jäger-Sammler-Gruppen der menschlichen Frühgeschichte Infekte sehr viel seltener vorkamen, einfach weil weniger Übertragungsmöglichkeiten da waren – das Immunsystem der Jäger und Sammler war trotzdem auf volle Kompetenz ausgelegt.

Welche Rolle spielen also die Infekte? Tatsächlich erwirbt ein Mensch durch einen durchgemachten Infekt ein Stück Immunität – allerdings nur gegen diesen spezifischen Erreger (und vielleicht gegen ein paar ähnlich gebaute Genossen aus der gleichen Familie). Und das zumeist nur für eine gewisse Zeit von ein paar Monaten oder ein paar Jahren. (Eine Ausnahme bilden hier die Erreger der „Kinderkrankheiten“, die tatsächlich eine lebenslange Immunität hinterlassen – wie Masern, Röteln, Mumps, Windpocken und so weiter – und eben deshalb KINDERkrankheiten sind, weil sie uns Erwachsenen wegen der dauerhaften Immunität nichts mehr anhaben können. Gegen die meisten dieser Krankheiten bekommen die Kinder heute eine Impfung.)

Und natürlich können Infekte auch für eine zeitweilige Auffrischungen des Immunschutzes sorgen – idealerweise sogar ohne dass das Kind dies merkt. Allerdings erstreckt sich auch hier die Schutzwirkung wieder lediglich auf ein einzelnes Virus oder dessen enge Verwandte. Hier lässt sich auch wieder das Beispiel der Jäger und Sammler anführen: Dass sie durch Infektionskrankheiten extrem gefährdet sind wenn sie etwa Kontakt mit der modernen Welt bekommen, liegt nicht daran, dass sie ein „schlechtes Immunsystem“ hätten, sondern dass sie viele der in den engräumigen Gesellschaften zirkulierenden Erreger noch nicht durchgemacht haben.

Ein Stückchen Schutz, immerhin

Nun könnte man sagen: Also erwerben die Kinder durch sehr viele Infekte doch einen höheren Schutz – schliesslich haben sie dadurch weniger weisse Flecken auf der hierzulande gängigen Erregerlandkarte! Und ja, so betrachtet stimmt das. Und tatsächlich nimmt ja dann die Häufigkeit der Infektionserkrankungen im Laufe der Kindheit ab – nicht weil das Immunsystem insgesamt stärker wäre, sondern weil gegen manche der häufigen Erreger ein Immungedächtnis aufgebaut wurde. Immerhin.

Allerdings muss hier auch das bedacht werden: diese Landkarte ist sehr groß, ja, schier endlos. Allein die Familien der Schnupfenviren haben hunderte von Mitgliedern. Und selbst wenn ein Kind davon ein Dutzend mitgemacht hat – das nächste Familienmitglied steht schon in der Schlange bereit. Und: die weissen Flecken auf der Landkarte bilden sich immer wieder von selbst nach, eben weil der Schutz bei den allermeisten Erregern nicht allzu lange vorhält…

Kurz, es stimmt, dass ein durchgemachtes Virus für das Kind von Vorteil sein kann (wenn bei diesem “Durchmachen” alles gut gelaufen ist zumindest…) – einfach, weil es mit diesem Virus das nächste Mal besser klar kommt. Was allerdings *nicht* stimmt, ist, dass das Immunsystem durch häufige Infekte insgesamt kompetenter würde und seinen Job – die Gratwanderung zwischen Abwehr und Toleranz – besser hinbekommen würde. Dass sich diese Kompetenz additiv per Ansteckung mit Krankheitserregern aufbauen könne (ein Virus hintereinander) ist biologisch gesehen zu kurz gedacht.

Und das ist gut so für unsere Kinder

Schade eigentlich, denn ich würde den geplagten Kindern und ihren Eltern den Trost eines „trainierenden Immunsystems“ wirklich gönnen! Andererseits: Wie gut, dass die vom Herrn Kollegen van Heek verbreitete Höllenangst auf einem veralteten Verständnis des Immunsystems beruht. Eltern brauchen keine Angst vor Leukämie und Diabetes zu haben, nur weil ihre Kleinen die Infektwellen der letzten Jahre verpasst haben.

Bliebe noch die seelische Dimension: Krankheiten könnten Kinder in ihrer seelischen Entwicklung stärken? Schliesslich lernen sie sich in einer anderen Rolle kennen, ziehen sich zurück, tauchen in eine andere Erlebniswelt ein, können vielleicht wieder etwas „kleiner“ sein und den stärkeren Rückhalt bei ihren sorgenden Eltern geniessen?

Das mag stimmen oder auch nicht. Wer selber an seine Krankheitstage als Kind zurück denkt, wird ihnen bestimmt auch eine positive „Entwicklungsdimension“ zuordnen. Allerdings würde ich auch hier die Frage nach der richtigen Dosis stellen wollen. Ein krankes Kind leidet, es schläft schlecht, und seine Eltern auch. Es hat wenig Kraft die Welt zu entdecken und mit leuchtenden Augen seine Runden zu drehen. Ich würde sagen: das seelische Wachsen und Werden in Ehren. Aber für ein Kind, das sich in der frühen und mittleren Kindheit vor allem von Infekt zu Infekt schleppt, ist ein Zuviel des Guten schnell erreicht.

Zum Schluss

Und warum haben wir dann derzeit dieses Riesenproblem mit den Wellen verschiedener Virenerkrankungen, die auch über den  Kinderkrankenhäusern zusammenschlagen? Ist dieses unerwartet intensive Infektionsgeschehen wirklich nur dadurch zu erklären, dass den Kindern die Begegnungen mit den entsprechenden Infektionswellen aus den letzten Jahren fehlen? Oder könnte hier vielleicht doch eine Art „Immunschuld“ oder ein durch die anti-pandemischen Maßnahmen geschwächstes Immunsystem eine Rolle spielen?

Ich werde dazu im nächsten Beitrag etwas sagen. Wir werden auch da sehen, dass das Immunsystem unglaublich spannende Überraschungen bereit hält. Denn tatsächlich sprechen erste Befunde dafür, dass das Immunsystem der Kinder in der Pandemie gelitten hat. Nur wie?

Nachtrag 13.12.2022:

Hier gehts zum zweiten Beitrag.

Zu diesem Beitrag will ich gerne auf mein Buch „Gesundheit für Kinder" hinweisen: "Kinderkrankheiten verhüten, erkennen, behandeln". Es hat sich im deutschsprachigen Raum als DAS umfassende Nachschlagewerk zur Kindergesundheit etabliert. In unserem Shop mit Signatur und Widmung erhältlich.
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13 Kommentare

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  • Corinna

    Lieber Herr Renz-Polster, vielen Dank für diesen wie immer so informativen und spannenden Artikel! Für mich sind besonders die Erkenntnisse zu EBV und Long Covid von großem Interesse. ich bin mit 25 Jahren am Pfeiffer’schen Drüsenfieber erkrankt und leide seither an einem chronischen Erschöpfungssyndrom und chronischen Schmerzen – nun schon 27 Jahre lang. Wie oft ich mir in dieser Zeit anhören musste, dass es das nicht gibt oder dass das “rein psychosomatisch” ist, kann ich gar nicht zählen. Seit es Long Covid gibt, schöpfe ich – paradoxerweise – ein wenig Hoffnung: dass ich zumindest irgendwann einmal eine Erklärung dafür bekomme, warum sich das bei mir so entwickelt hat, und dass anderen vielleicht eine solche Entwicklung erspart bleibt. Sie haben ja selbst auch mit chronischer Erschöpfung zu kämpfen, und ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie Ihre Erkenntnisse dazu mit uns teilen! Alles Gute für Sie und eine schöne Adventszeit, Corinna

  • Mary Jane

    Ich bin sehr gespannt auf Teil 2, und ob ich Antwort auf die Frage bekomme die ich mit seit über einem Jahr stelle. „Ist das noch normal?“ ich arbeite seit über 15 Jahren als Kindergärtnerin und habe dementsprechend schon einige Krankheitswellen mitbekommen (und manchmal auch mitgemacht) Aber die Häufigkeit, die Schwere, und die Länge der ganzen Infekte momentan sind jenseits von…. und irgendeine Erklärung muss es ja dafür geben.

  • Katharina Teufel-Lieli

    Das Immunsystem ist definitiv viel komplexer als es gern dargestellt wird. Nichts ist schwarzweiß, weder hilft der Nestschutz zu 100% noch hilft er gar nicht.
    Stress spielt eine enorme Rolle. Es gab da mal eine Studie, die feststellte, dass der Cortisolspiegel bei Kleinkinder in Kinderkrippen gleich hoch ist wie bei Kleinkindern in rumänischen Waisenhäusern.
    Angst gehörte zu den größten 3 Faktoren für einen schweren Verlauf bei Corona. Die Kinder wurden massiv psychisch unter Druck gesetzt. PädagogInnen hatten zum Teil regelrecht Angst vor ihnen, wurden sie doch fälschlicherweise als Virenschleudern klassifiziert. Dass nun festgestellt wurde, dass der Kontakt mit Kindern vor einem schweren Verlauf schützt, steht für mich sinnbildlich für das komplette Versagen der gesamten Medizin und Politik.

    Wie sieht es derzeit eigentlich in Schweden aus? Haben die Kinder dort ebenfalls auffällig mehr Infekte? Die Übersterblichkeit ist jedenfalls dort seit Sommer 20 niedriger. Ohne Masken, Lockdowns und Schulschließungen.

    Meine Erfahrung als 6fach Mutter: jedes Kind hat verschiedene, offenbar angeborene Empfindlichkeiten. Während die einen jede Magen Darmgrippe abschleppen, holen sich die anderen jeden Atemwegsinfekt.
    Eines ist aber sicher: meine beiden Jüngsten waren während ihrer gesamten Waldkindergartenzeit kerngesund (nicht mal der übliche Dauerschnupfen), obwohl ihre Geschwister Krankheiten aus der Schule anschleppten. Dieser Effekt hielt noch ca 2 Jahre nach Schuleinschreibung an.

    Daher mein Fazit: unsere Kinder wachsen in für sie höchst ungesunder Umgebung auf. Dieser Stress fördert Krankheiten, je sensibler das Kind, desto öfter ist es krank. Während Corona nahm der Aufenthalt im Freien extrem ab, während Angst und Stress erhöht wurden. Eine zeitlang wird das kompensiert, bis es zur Dekompensation kommt. Psychische Belastungen äußern sich immer zeitverzögert.
    Die Auseinandersetzung des Immunsystems mit Krankheitserregern ist sicher wichtig. Dabei ist es unerheblich ob man krank wird, oder nicht, die stille Feiung ist ja bitte schön keine Verschwörungstheorie (mein 18 Jähriger hatte T Zellen gegen SarsCov2, ohne je Symptome oder einen positiven Test gehabt zu haben)

    Das Entscheidende: wie haltet man sein Immunsystem so fit, dass es die meisten Erreger kennenlernen UND poblemlos abwehren kann? Vermeidung der Konfrontation ist der falsche Weg. Ständig Kranksein auch.

    Ein täglicher mehrstündiger Aufenthalt im Wald bzw ein kindgerechter Alltag würde wahrscheinlich reichen.

  • Philipp Bornschlegl

    Lieber Kollege Polster,

    vielen Dank für den spannenden Beitrag und die hoch interessanten Links. Mikrobiom und Immunsystem werden meiner Meinung nach die entscheidenden Forschungsinhalte der nächsten 10 Jahre für die Medizin werden (bleiben).

    Ganz subjektiv sehen wir bei der aktuellen Infektwelle schon einen gefühlten Zusammenhang zwischen der durch die Maßnahmen der letzten 2 Jahre deutliche reduzierte Keim/Viren-Belastung im Alltag und der Intensität der “IOLWs” der aktuellen Welle, insbesondere was RSV betrifft, wo wir ja von einer “singulären” Viren-Gattung sprechen. Dazu hier ein schöner Text aus dem JAMA: https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2798785

    Gleichzeitig sind natürlich nun viele Kinder erstmals richtig krank oder haben erstmals richtig Fieber und die Eltern kennen diese Routine einfach noch nicht.

    Eine Herausforderung wird sicherlich das zunehmende Wissen über die Langzeitfolgen von Virusinfektionen wie EBV oder COVID, beispielsweise im Zusammenhang mit Diabetes 1, siehe https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/71/wr/mm7102e2.htm?s_cid=mm7102e2_w#contribAff

    Wir haben in den letzten Monaten immer wieder auffällige Diabetes-EM-Schübe sehen können, bei denen eine Assoziation mit Corona denkbar wäre, wobei sich natürlich die Frage stellt, ob nicht durch eine Corona-Infektion wiederum andere vorher bestehende Virus-Infektionen reaktiviert wurden.

    Es bleibt spannend. Gespannt auf den Folgebeitrag,
    Ihr
    Philipp Bornschlegl
    FA für Kinder- und Jugendmedizin

    • Heid Regina

      Ich kann anekdotisch anmerken, dass unser Neffe beginnend nach seiner 1. Covidinfektion Diabetes (Muskelschmerzen, Gewichtsverlust, Apathie) entwickelte.
      Obwohl eingestellt, veränderte es sich nach der 2. Infektion so, dass er nun eine Insulinpumpe gesetzt bekam, da die Werte kaum mehr zu kontrollieren waren.
      Ob nun direkt oder indirekt: ein Zusammenhang liegt doch ziemlich nahe.
      Ändern kann man das nicht mehr.
      Aber vllt doch gesellschaftlich über anderen Infektionsschutz nachdenken? Luftfilter bzw Luftaustausch in Innenräumen (gerade in Räumen mit hoher Belastung, wie in Kindergärten u Schulen).
      Frage wäre ja auch, weshalb manche Kinder solche Folgen davontragen, andere scheinbar erstmal nicht.
      Viele Grüße

  • Anika

    Vielen Dank für diesen sehr sensiblen Beitrag, der auch Eltern mitnehmen kann, die eigentlich fest davon überzeugt sind, dass jeder Infekt gut ist. Ich werde auf den zweiten Teil warten, diese dann an die Kita weiterleiten und hoffen…

  • Anne

    Vielen Dank für den informativen Artikel. Auch ich warte gespannt auf den zweiten Teil.
    Ich bin zurzeit ehrlich gesagt häufig irritiert, wenn ich im Zusammenhang mit der „Immunschuld“ höre, dass nun die Infekte der letzten drei Jahre nachgeholt würden.
    Bei der Grippe ist mein Stand, dass 2020 die Grippewelle im Keim erstickt wurde und nun die erste Grippewelle seitdem stattfindet. Hier kann ich der Aussage zustimmen, dass nun die Erkrankung „nachgeholt“ wird. Es gibt eine große Anzahl immunnaiver Kinder für die Grippe und sicherlich hat auch die Schleimhautimmunität in der nicht mehr immunnaiven Bevölkerung nachgelassen. Da passt eine starke Grippewelle ins Gesamtbild.
    Im Fall von RSV erinnere ich mich, dass bereits im letzten Jahr die pädiatrischen Stationen über Überlastung geklagt haben, da zwei immunnaive Jahrgänge nun zu einer starken Welle beitragen. Auch in Publikationen, z. B. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/irv.12996, sieht man für 2021 eine deutliche RSV-Welle. Nun lese ich gerade häufig Aussagen wie „Jetzt werden drei Jahrgänge von Kindern diese Infekte durchmachen, weil sie ohne Mundschutz durch die Gegend rennen“, sagte Sasse mit Blick auf die aufgehobenen Corona-Beschränkungen. (https://www.merkur.de/deutschland/kinderkliniken-notlage-kinder-sterben-oberarzt-rsv-virus-deutschland-intensivbetten-zr-91951022.html). Das passt doch nicht zur starken RSV-Welle im letzten Jahr?
    Das passt außerdem auch überhaupt nicht zu dem, was ich in der Realität erlebe. Mein zweiter Sohn wurde im Mai 2021 in der Krippe eingewöhnt und hat seitdem um die 30 Infekte nach Hause gebracht (obwohl er um den Jahreswechsel 21/22 nach Lungenentzündung und Pseudokrupp drei Monate zu Hause verbracht hat). Bereits im Sommer 2021 sprachen sowohl Erzieherinnen als auch Kinderärzte von derzeit unüblich vielen Infekten und „nachholen“. Und bereits im Sommer 2020 sind in den Kindergärten Erkältungen deutlich verbreitet gewesen (ich erinnere mich an Gespräche mit Freunden, dass 10-14 Tage nach dem Kindergartenstart 2020 die erste Erkältung im Haus war „und wie lange war dein Kind im Kindergarten bis zur ersten Erkältung?“). So wie ich die persönlichen Erfahrungen von Herrn Renz-Polster und auch einer weiteren Kommentatorin lese, scheint es mir nicht alleine so zu gehen.
    Für die meisten Kinder im Kindergarten-Alter gab es damit eine Infekt-Pause von März 2020 – Mai 2020 und dann nochmal von Dezember 2020 – März 2021. Für Kinder, die während der starken Corona-Wellen zu Hause betreut wurden, vielleicht noch ein paar Monate länger. Aber ernsthaft, wir holen diese vielleicht 5-8 Monate Infektpause jetzt seit über anderthalb Jahren auf? Ich habe schon Vermutungen, in welche Richtung der zweite Teil des Artikels gehen wird, und hoffe, dass sich da ein stimmigeres Bild ergibt, auch wenn es sicher noch sehr viele offene Fragen gibt.
    Außerdem: irgendwie spannend, dass die “normalen” Erkältungen sich bereits seit Frühling 2021 massiv in den Kitas ausbreiten, RSV im Herbst vor einem Jahr schonmal relativ stark war, die Grippewelle aber erst jetzt startet. Eigentlich sollen doch gerade bei der Grippe die Kitas „Treiber“ sein. Epidemiologisch ist das doch sicher sehr interessant. Haben Sie da schon Studien oder Modelle gefunden?

  • Vanessa

    Mich würde interessieren wie es sich auswirkt wenn man sein Baby/Kleinkind ständig versucht fern von Infekten zu halten?
    Tun die Eltern ihren Kindern damit dann wirklich einen Gefallen?

  • Yasmine

    Herr Renz-Polster, in Ihrem Text schreiben Sie “Masern, Röteln, Mumps, Windpocken und so weiter … Gegen die meisten dieser Krankheiten bekommen die Kinder heute eine Impfung.”
    Jetzt gebe ich hier die Äußerung eines Arztes wieder, der pro Impfen ist:
    “Eine Impfung gegen Kinderkrankheiten hält auch nur eine gewisse Zeit. Im Schnitt ca. 40 Jahre. Wenn man dann so langsam in das “hohe Alter” kommt und der Immunschutz weg ist, kann man sich durchaus anstecken. In diesem Alter aber, ist eine solche Infektion um so schlimmer, da der Körper sie nicht mehr so gut wegstecken kann und es manchmal einen dramatischen Ausgang hat.”

    Ist dem wirklich so, dass es zwar immer heißt, der Immunschutz gegen Kinderkrankheiten währt ein Leben lag, aber in Realität ist es anders?

    Was ich mir vorstellen kann ist, dass nicht jede Impfung auch “anschlägt” und man keine Immunisierung erhalten hat. Als ich ca. 11 Jahre alt war, habe ich die Röteln bekommen, zum großen Erstaunen des Hausarztes, der mich damals dagegen geimpft hatte. Und ja, es war genau so ein heftiger Infekt als wenn es keine Impfung gegeben hätte.

    Zum Schluss bleibt mir nur noch folgende Überlegung: wenn wir in die Richtung hoffen, dass wir für alles und gegen alles eine Impfung bekommen können, wie gesund sind wir dann noch? (Davon mal abgesehen, dass dieser Spruch von einem Arzt kam: “nur ein Medikament mit Nebenwirkungen ist auch ein wirksames Medikament”)

    Mit freundlichen Grüssen, Yasmine

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