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Kommentar13. November 2020

Zum Tod von Remo Largo

Ich trauere zusammen mit meiner Frau Dorothea um meinen Kollegen, lieben Freund und Gefährten, Remo Largo, der am Mittwoch im Alter von 76 Jahren verstarb.

76 Jahre übrigens, die Du ja nie dachtest zu erreichen, mit all den gesundheitlichen Problemen, die Dich schon im jungen Erwachsenenalter heimgesucht haben. Oft bist Du damit an Grenzen gestoßen, schlimme Tage waren Dir vertraut, und sie haben sich zuletzt gehäuft. Und doch warst Du vital in einem tiefen Sinne, sprühtest vor Neugier, Erklärungsdrang und Wissen – es gab wenige Themen, die Dich nicht gleich “anzündeten”, wirklich. Gleichzeitig warst Du bescheiden, zugewandt, liebevoll. Während manche berühmte Menschen ihre Titel und Verdienste auf der Stirn tragen, warst Du einfach Remo. Und so bleiben mir nicht nur die Gespräche über Kinder, über Studienergebnisse und gesellschaftliche Themen in Erinnerung, sondern Deine Pflanzen im Garten, für die Du liebevoll sorgtest, und natürlich die goldgelben Röstis auf dem Tisch. Remo, Du wirst für mich immer ein Vorbild bleiben, ein Bild von Mensch.

Ich will Dein Werk kurz umreissen, ich glaube das in Deinem Sinne, es ging Dir ja immer um eine bessere Gestaltung der Welt. Und wenn diese Welt – Dein erster und wichtigster Fokus – die Familie ist. Das Kind darin: ein aktives, “berechtigtes”, individuelles Wesen. Das war in den 1970er Jahren ein neuer Blick, er machte Dich zu einem “jungen Wilden” in Deinem von Dir selbst neu entwickelten Fachgebiet, der Entwicklungspädiatrie – ein Fachgebiet, um das die Schweizer Familien zu beneiden sind.

Was war neu an Deinen Arbeiten? So vieles!

Unterschiedlichkeit

Zum einen beschriebst Du die Varianz der kindlichen Entwicklung – die Unterschiedlichkeit von Kind zu Kind. Von wegen “das Kind”! Von wegen “Meilensteine der Entwicklung”! Also die der Vorstellung, dass Kinder auf ihrem Entwicklungsweg an den immer gleichen Stellen bestimmte Entwicklungsmarken passieren – frei Sitzen mit 6 Monaten, Krabbeln mit 9 Monaten – und so weiter. Du hast diese Vorstellung durch eine auf viele Jahre angelegte Beobachtungsstudie widerlegt, den Zürcher Longitudinalstudien: Die Meilensteine sind in Wirklichkeit Korridore. Und wie breit sie sind, selbst wenn man die “fußkranken” Kinder einmal weglässt (also die Kinder mit Entwicklungsproblemen)! Laufenlernen: irgendwo zwischen 10 und 20 Monaten, die ersten Worte: irgendwann zwischen 13 und 31 Monaten, und so weiter. Auf der Suche nach “Störungen” müssen wir Kinderärzte seither etwas klüger vorgehen als einfach das Buch der Kindernormen rauszuholen (ich würde “müssten” hier schreiben, denn ist die Botschaft in allen Köpfen angekommen? Remo, Du hättest noch viel zu tun gehabt). Und wie viele Familien hast Du damit befreit, ja, wirklich befreit!

Individualität

Mit diesem Ansatz beschriebst Du aber auch die Individualität des Kindes. Jedes Menschenkind, das war Dir wichtig, ist ein Unikat. Man wird ihm nicht mit 0815-Erwartungen gerecht. Und auch nicht, das war Dein Werk vor allem  im späteren Leben, mit 0815-Schulen. Oder 0815 Kitas. Oder einer Erziehung nach Zielen. Schaut auf Eure Kinder, nicht auf die Ziele, das war Dein Thema. Und: Jedes Kind hat seine Stärken. SEINE Stärken.

Passung

Diese Feststellung hat Dich zur zentralen Achse Deines Werkes geführt – dem Fit-Prinzip. “Der Fit”, wie Du immer sagtest. Gemeint ist damit, dass jedes Kind wegen genau dieser Einzigartigkeit seiner Talente und Kompetenzen nur in einer Umwelt gedeihen kann, die seinen unverwechselbaren Anlagen und Fähigkeiten auch gerecht wird. Sonst verkümmert das Kind in seiner Entwicklung. Es lebt auf dem falschen Fuß. Es kann den Schatz nicht heben, den es in sich birgt. Und wird oft genug dann aussortiert – ob von Familien, die sich ein bestimmtes, anderes, zu den vorgegebenen Zielen passendes Kind wünschen. Oder von Schulen, die die Individualität des Kindes nicht anerkennen.

Gemeinschaft

Du bist zuletzt noch weiter gegangen und hast eine Gesellschaft skizziert, die dieses “Fit-Prinzip” Ernst nimmt und ihm Raum gibt – für alle Menschen, ob jung oder alt. Das ist Dein Buch “Das passende Leben”. Wie viele Stunden haben wir über seine tiefen Grundlagen diskutiert, sie reichen ja mitten hinein in unser evolutionäres Erbe, also das, was wir an menschlichen Fähigkeiten und Begrenzungen aus der Menschheitsgeschichte mitbringen. Gemeinsamemer “Kribbelgrund” war das.

Teilen

Was Dein Werk so besonders macht ist für mich etwas Weiteres: Du hast Dich nie im Elfenbeinturm versteckt – Du bist raus gegangen zu den Leuten. Ja, Du hast wissenschaftlich publiziert – aber auf dem Fuß folgten Deine “Familien”-Bücher – vor allem die “Baby-Jahre” und die “Kinder-Jahre”. Veritable “Übersetzungen” Deiner wissenschaftlichen Arbeit. Und was für welche – wie oft wünsche ich  manchem hoch dort oben über Babyfragen beratenden Kinderarzt (und seinen Patienten) nur dieses eine: Lies das doch lieber noch mal bei Remo Largo nach… Ohne Vorwurf, nur in Kenntnis des von Dir, Remo, oft beklagten Dilemmas: dass die Kinderärzte in dieser Republik ihre Ausbildung an kranken Kindern machen – und sich dann ohne allzugroßen Aufwand auch noch die 1000 Fragen rund um das normale Kind zutrauen.

Aber jetzt bin ich wieder bei Deinem Werk gelandet. Aber das ist gut so, denn das bleibt allen von Dir, Du lebst darin weiter und sprichst zu denen, die Dich nie gekannt haben.

Ein Mensch

Was ich Euch Lesern gerne ergänzen will: Stellt Euch beim Lesen einen, ja, “väterlichen”, liebevollen Menschen vor, dem es Ernst war. Wirklich ernst. Der sein Leben mit großer Aufrichtigkeit geführt hat. Echt und mit offenem Visier. Auch angesichts seines Todes, um dessen Besuch er wusste. Sicher kein leichtes und auch kein konfliktfreies Leben, echt sein heisst nicht ohne Kanten, ohne Schwächen oder ohne Fehler zu sein. Remo, Du wärst der Letzte, der das nicht anerkannt hätte. Auch darunter hast Du gelitten, weil Du damit offen umgegangen bist.

Remo, ich würde so gerne weiter mit Dir diskutieren. In großer Anerkennung vor Deiner Persönlichkeit nehme ich meinen Abschied von Dir.

Dein Herbert

 

 

18 Kommentare

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  • Teresa

    Danke für den schönen Nachruf auf diesen weisen Mann.
    Ich bin Remo Largo unendlich dankbar für sein Werk.
    Die Babyzeit mit meinem ersten Kind ist unendlich entspannter geworden, nachdem ich seine Bücher gelesen habe. Erst da habe ich mich getraut, meinem Gefühl und meinem Baby zu vertrauen.
    Dankeschön!

  • Kiki

    Vielen Dank für diesen wundervollen Nachruf!
    Ich hatte das Glück Remo Largo während meines Studiums in einer Vorlesung als Dozent zu erleben – er hat meine Art und Weise mit Kindern zu leben und zu arbeiten durch seine Sicht der Dinge nachhaltig beeinflusst. Ein wirklich toller Mensch und Kinderarzt!

  • Patrizia

    Danke Doc Renz-Polster,
    DANKE für ihre wertschätzenden und ihre freundschaftlichen Worte zum Abschied einer herausragenden und unvergesslichen Persönlichkeit wie es Remo Largo für uns bleiben wird. Ich habe eben beim Lesen Ihrer Worte eine aufsteigende Trauer um den aktiven Remo Largo tief empfinden müssen. Mir wird seine wertvolle und nachhaltige Arbeit für die Kinder, auch das zur Entlastung führende Verständnis für Eltern und auch für das erweiterte pädagogische Fußvolk das klar und zielführend davon profitieren kann bewusst. Ich verneige mich vor Remo Largo zum Abschied vor dieser Lebensleistung mit meinem höchsten Respekt. Bedauerlicherweise habe ich ihn erst vor ca 1,5 Jahren auf den Bildschirm bekommen. (Was ich beruflich echt bedauere.) Nun ist er gegangen und hat uns unendlich viele zusammengetragene Erkenntnisse hinterlassen. Es liegt nun an uns, dieses Werk in der Wissenschaft beharrlich auszusäen um für die Erden-Lebensgemeinschaft etwas Gutes zu entzünden…. In Remo Largos Ansinnen.

  • Martina Wolf

    ich bin so sehr berührt von Ihrem liebevollen Nachruf – ich durfte Remo Largo in einer Ausbildung vor etlichen Jahren persönlich in Wien kennen lernen und habe seine “Babyjahre” oft als “Entspannungsprogramm” Eltern empfohlen – die Range der Entwicklung ist so breit – aufmerksam bleiben, aber ohne Sorge und dem Kind seine Zeit lassen. Das fasst für mich gut, was er mit den Babyjahren vermittelt hat.

    In großer Dankbarkeit an Remo Largo aber auch an Sie.
    Ein wundervoller Nachruf von einem dessen Herz für Kinder schlägt an einen dessen Herz für Kinder schlug.

    Danke,
    Martina Wolf

  • Katrin

    Danke für diesen tollen Nachruf auf einen wundervollen Menschen, geschrieben von einem ebenso wundervollen Menschen.
    Ihre beiden Werke haben mich in meinem Herzen bestärkt, mich immer auf meinen Mutterinstinkt und mein Bauchgefühl im Umgang mit meinem Baby, und jetzt schon Kleinkind, zu vertrauen und zu verlassen.
    Ich habe diesen Nachruf gerade mit tief empfundenem Mitgefühl gelesen und Tränen in die Augen bekommen.
    Solche Menschen braucht die Welt und werden wirklich sehr geschätzt.

  • Brigitta

    Wunderbare und wertschätzende Worte von einem, für
    einen, wunderbaren Menschen.
    DANKE!

  • Elke

    Was für ein wunderbarer Text, dem nichts hinzuzufügen ist. Remo Largo hat die Welt ein Stück besser gemacht. Ganz herzlichen Dank dafür und dir, Herbert, für die treffenden Worte
    Elke
    http://www.bindungsverlangen.de

  • Alli van Dornick

    Ein toller Nachruf an einen tollen Menschen. Danke Herr Renz-Polster.

  • U

    Spricht mir aus dem Herzen, H

  • info@anitafrank.de

    Danke für den liebevollen Nachruf an Remo Largo. Seine Bücher, wie auch Deine sind die am oft zitiertesten Bücher in meiner Praxis.
    Den Respekt und die Erfurcht vor den kleinen Menschen , sein großes Wissen um die “Unikate” , erfüllt mich mich großer Hochachtung.
    Danke lieber Herbert für deine Worte.
    Liebe Grüße
    Anita

  • Oroya

    Vielen Dank! Ich werde ihn vermissen. Nächte lang stöberte ich über das Schrei- Schlaf und sonstige Verhalten bei Babies, manchmal total verzweifelt. Und immer wenn ich das Buch weggelegt habe war ich etwas beruhigter und zuversichtlicher. Ich habe viel von ihm gelernt und lerne immer noch.
    Danke!

  • Christine

    Ich bin sehr traurig. Danke für Ihre liebevollen Zeilen für einen großen Menschen und Wissenschaftler.

  • Franz Josef Neffe

    Ich hatte das große Glück, Remo Largo vor Jahren in Zürich vor Lehrern zu begegnen. In dieser Zeit habe ich meinen Kollegen – nicht wertend sondern beschreibend – als Unterrichtsvollzugsbeamte ihre Tun zu spiegeln versucht, damit sie erkennen und sich aus einer der kränksten Berufsgruppen wieder ihrer Gesundheit annähern und dadurch ein praktisches Vorbild und eine Orientierung für ihre Schüler werden.
    Es hat ausgesprochen wohlgetan, wie einfach und sanft und nicht nur mit dem Verstand verstehbar ihnen Remo Largo ihnen “die Leviten las”, nicht mit Druck sondern mit Sogwirkung.
    Gottseidank hat mich dieser bescheidene Schweizer Kinderarzt überhaupt nicht beeindruckt. In meiner Ich-kann-Schule ist nicht Druck das Grundprinzip sondern SOG. Remo Largo hatte nicht nur auf mich starke SOG-Wirkung; ich habe ihn nie vergessen und ein großer Wunsch war mir immer gewesen, ihm noch einmal zu begegnen und mit ihm Türen zum Leben aufzumachen.

  • Vera

    Vielen Dank! So ein schönes Erinnern. Danke, Euch beiden sehr

  • Mathilda Wyss-Babst

    Danke für diesen wunderschönen Nachruf, der mich sehr berührt. Eine bescheidene und doch so herausragende Persönlichkeit wie Remo Largo wird bestimmt weiterleben.

  • Teben, Veronica M. Tebben

    Vielen Dank für Ihren sehr umfassenden und liebevollen Nachruf. Sie sprechen so vieles an, was ich selber durch die Bücher, Vorträge und die Weiterbildungen die ich bei Remo H. Largo erleben durfte, an. Diesen umfassenden Blick, den Remo H. Largo, auf Kind und Familie, uns in all seiner Arbeit hat neu werfen lassen ist kaum in seiner ganzen Tragweite zu erfassen. In meiner Arbeit als Kinderphysiotherapeutin hat es eine enorme Auswirkung gehabt. Dafür bin ich Herrn Remo H. Largo sehr dankbar. Eine sehr wichtige und inspirierende Stimme ist verstummt!!!

  • Stefanie

    Ich habe gerade jetzt erst erfahren, das Remo Largo verstorben ist und bin ihm, gemeinsam mit Ihnen Herr Renz Polster, so dankbar. Als Mama von 3 Kindern mit völlig unterschiedlichem Alter ( 1, 7 und 18 Jahre )
    greife ich immer wieder zu seinen Büchern…lerne immer wieder dazu…und versuche vieles auch in meinem Beruf als Erzieherin / Sozpäd. weiterzugeben.
    Es wäre wünschenswert wenn wir uns in Remo Largos Sinne doch endlich von den Meilensteinen verabschieden, sie sind in der Arbeit mit Kindern doch meist Stolpersteine…

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